Historiker: In Osten lebt der Antiamerikanismus der SED weiter

Historiker: In Osten lebt der Antiamerikanismus der SED weiter

Berlin (epd). Der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sieht in der Russland-Freundlichkeit vieler Ostdeutscher ein Fortleben des Antiamerikanismus der SED. „Bis Ende der 80er Jahre war Russenhass in der DDR weit verbreitet und das Lernen der russischen Sprache für die meisten eine Qual“, sagte Kowalczuk der „tageszeitung“ (Samstag): „Was wir jetzt erleben, ist der Antiamerikanismus der SED, der fortlebt und sich als Ablehnung des politischen Systems des Westens zeigt.“ Das sei viel dramatischer, als wenn die Leute sich „nur“ mit Putin und seiner Diktatur gemeinmachen würden.

Die DDR sei das größte Freiluftgefängnis in Europa nach 1945 gewesen, sagte der Historiker, der unter anderem mit seinem 2009 erschienen Buch „Endspiel - Die Revolution von 1989 in der DDR“ bekannt wurde. Viele Menschen dort hätten die Diktatur jedoch nicht als Unfreiheit wahrgenommen, ähnlich wie aktuell in Russland oder China.

Anders als in osteuropäischen Ländern sei die Revolution von 1989 in der DDR auch nicht von einer Mehrheit getragen worden. „In Wahrheit waren es große Minderheiten, die sich engagiert haben. Im Gegensatz dazu war der Kampf um Unabhängigkeit und Freiheit in Polen und den baltischen Staaten ein Kampf von Mehrheiten“, sagte Kowalczuk.

Zugleich sei nirgendwo der Bruch zwischen dem Alten und dem Neuen so radikal wie in Ostdeutschland gewesen. „Gleichzeitig ist nirgendwo die Gesellschaft sozial so weich abgefedert worden. Das war, politisch gesehen, gut. Der Effekt ist aber, dass sich die Freiheit wie ein Geschenk anfühlt. Geschenke werden oft nicht wertgeschätzt.“