"Man kann ihr einfach nie böse sein", sagt einer, der regelmäßig mit Malu Dreyer über handfeste Fragen wie die Finanzierung von Alten- und Behinderteneinrichtungen verhandeln und auch streiten muss. Die 51-jährige Sozialdemokratin, die bislang in Mainz für die Bereiche Soziales, Arbeit und Gesundheit zuständig war, hat sich als Länderministerin auch auf Bundesebene schon einen Namen gemacht. Sie lacht deutlich öfter als die meisten ihrer Kollegen und gilt als eine der beliebtesten Landespolitiker in Rheinland-Pfalz. Nun soll sie als Nachfolgerin von Kurt Beck (SPD) neue Ministerpräsidentin werden.
Als neue Ministerpräsidentin hätte Dreyer einen entscheidenden Vorteil gegenüber potenziellen Mitbewerbern um das höchste Amt im Land: Während die rheinland-pfälzische Politik zuletzt tagtäglich wegen des finanziellen Fiaskos auf dem Nürburgring und des wirtschaftlich angeschlagenen Hunsrück-Regionalflughafens Frankfurt-Hahn negative Schlagzeilen produzierte, war das Mainzer Sozialministerium von den Affären nie betroffen, stattdessen hatten sozialpolitische Entscheidungen aus Mainz während Dreyers zehnjähriger Amtszeit oft Leuchtturmcharakter für andere Bundesländer.
Ernsthaft in Bedrängnis geriet sie nur einmal
So hatte Rheinland-Pfalz bereits Jahre vor dem bundesweiten Ausbau der Pflegestützpunkte ein landesweites Netzwerk von Beratungsstellen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen aufgebaut. Als erstes Bundesland verabschiedete Rheinland-Pfalz ein Kinderschutzgesetz. Als erstes Bundesland wurde hier die Idee propagiert, dass behinderte Menschen mit Hilfe eines "persönlichen Budgets" möglichst viele Entscheidungen über ihr Leben selbst fällen sollten. Ein später vom Dreyer-Ministerium eingeführtes "Budget für Arbeit" ermöglicht behinderten Menschen, in ganz normalen Firmen statt in einer Behindertenwerkstatt angestellt zu werden und gilt ebenfalls als deutschlandweit vorbildlich.
Ernsthaft in Bedrängnis geriet die Ministerin in ihrer langen Amtszeit nur einmal, als 2003 in der pfälzischen Kleinstadt Rodalben eine junge Erzieherin in einem geschlossenen Heim für gewalttätige Jugendliche von drei Bewohnern getötet wurde. Ein Untersuchungsausschuss des Landtags wurde eingesetzt, weil die Täter Teilnehmer des vom Land initiierten Modellprojekts "Heimerziehung statt Untersuchungshaft" waren. Aus den Reihen der Opposition wurde Dreyer Blauäugigkeit bei der Planung des Projekts vorgeworfen und ihr Rücktritt gefordert.
Das typische Malu-Dreyer-Leuchten
Malu Dreyer heißt eigentlich Marie-Luise, aber nicht einmal die Ministeriumspressestelle weiß auf Anhieb, ob der Doppelname sich mit Bindestrich schreibt oder ohne. Sie wurde 1961 in Neustadt an der Weinstraße geboren. Ursprünglich wollte sie Religionslehrerin werden, gab ein Theologiestudium allerdings nach einem Jahr auf und wechselte zu Jura. In den 1990er Jahren wurde sie Bürgermeisterin in Bad Kreuznach und später Mainzer Sozialdezernentin, bevor sie 2002 das Ministeramt übernahm. Sie ist mit dem Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) verheiratet und lebt mit ihm in einem alternativen Mehrgenerationen-Wohnprojekt.
Die Sozialministerin galt in Mainz lange Zeit nicht als heiße Kandidatin für die Nachfolge von Kurt Beck, dessen vorzeitiger Rücktritt bereits seit Monaten erwartet wurde. Weil sie an Multipler Sklerose erkrankt ist, trauten manche in der SPD ihr das Amt wohl auch lange nicht zu. Im Landtag hat Dreyer den Sitzplatz mit dem kürzesten Weg zum Rednerpult. Bei auswärtigen Terminen lässt sie sich von Mitarbeitern unter den Arm nehmen oder im Rollstuhl schieben. Als Ministerin ging sie offen mit ihrer Krankheit um, ließ aber auch keine Gelegenheit aus, um zu belegen, dass sie dem stressigen Vollzeitjob als Politikerin gewachsen ist.
Davon konnten sich die Mainzer Journalisten erst vor einigen Wochen bei einer Pressereise mit der Ministerin überzeugen, bei der Dreyer alternative Wohnangebote für ältere Menschen zeigen wollte. Nach einer fünfzehnstündigen Busfahrt machten die meisten Berichterstatter schon einen deutlich erschöpften Eindruck, als die gut gelaunte Ministerin immer noch mit dem typischen Malu-Dreyer-Leuchten in den Augen über die Pflegereform diskutierte oder von einer Amerika-Reise schwärmte - "weil man in den USA im Rollstuhl an jeder Warteschlange vorbeigelassen wird". Nur zu den hartnäckigen Nachfragen über ihr Interesse am Ministerpräsidentenamt hatte sie auf der Fahrt eisern geschwiegen.