Myanmar-Experte: "Junta greift eigene Bevölkerung an"

Proteste gegen Militärputsch in Myanmar
© Gayatri Malhotra/unsplash
Weltweit protestieren Menschen gegen den Militärputsch in Myanmar – im Land selbst ist es gefährlich sich zu äußern.
Zwei Jahre nach Militärputsch
Myanmar-Experte: "Junta greift eigene Bevölkerung an"
Seitdem sich das Militär Myanmars am 1. Februar 2021 zurück an die Macht putschte, ist es schwierig, etwas über die Lage im Land zu erfahren. Viele Quellen schweigen. Der Eindruck, der sich aufdrängt: Es ist gefährlich, sich öffentlich zu äußern.

Internationale Beobachter:innen klagen andauernde Menschenrechtsverletzungen an und sehen das Land tiefer in der Krise denn je. Sandy Sneddon, beratender Manager für die Unterstützung internationaler Partnerschaften der Church of Scotland, schildert Eindrücke von seinen Quellen im Land, die ihn über geschützte Kanäle erreicht haben.

Die Church of Scotland unterhält langjährige Beziehungen zu Partnerkirchen in Myanmar. Was hören Sie von Ihren Partnern? Wie ist die Lage zwei Jahre nach dem Militärputsch?

Sandy Sneddon: Sehr schnell nach dem Putsch im Jahr 2021 haben wir eine Chat-Gruppe eingerichtet, über die unsere Partner in Myanmar und die internationalen kirchlichen Partner hauptsächlich in Kontakt geblieben sind. Unsere Freund:innen in Myanmar teilen Nachrichten zum Beispiel über Angriffe oder Aktionen der Streitkräfte (Tatmadaw genannt) in der Region. In den ersten Tagen erhielten wir Videos von Protesten, bei denen Menschen auf Töpfe und Pfannen einschlugen und Protestlieder sangen. Wir haben auch viele Fotos erhalten, die zu verstörend waren, um sie in unseren Veröffentlichungen zu verwenden, grafische Bilder des Gemetzels und der Gewalt.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sagte kürzlich, das Land sei tiefer denn je in die Krise geraten und habe einen massiven Rückschritt bei den Menschenrechten erlebt. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Sneddon: Berichten zufolge wurden seit dem Putsch 17.000 Menschen verhaftet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat festgestellt, dass die Tatmadaw für Angriffe auf die Zivilbevölkerung verantwortlich ist, die einem Kriegsverbrechen gegen ethnische Minderheiten in mehreren Bundesstaaten gleichkommen, und dass sie ein System der "verbrannten Erde" anwendet, Dörfer niederbrennt und die humanitäre Hilfe daran hindert, Millionen von Vertriebenen zu erreichen. Dies deckt sich mit dem, was uns unsere Kontakte in Myanmar in den letzten zwei Jahren berichtet haben. Beide Seiten begehen Gräueltaten, aber die Junta greift ihre eigene Bevölkerung an.

Das UN-Menschenrechtsbüro berichtet außerdem, dass in den letzten zwei Jahren mehr als 34.000 zivile Einrichtungen, darunter Wohnhäuser, Kliniken, Schulen und Gotteshäuser, niedergebrannt wurden. Ist Ihre Partnerkirche auch von dieser Zerstörung betroffen? Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit der Kirche?

Sneddon: Wir haben von Dörfern, Kirchen und Häusern gehört, die im Bundesstaat Chin angegriffen und niedergebrannt wurden. Es wurde beschlossen, im Dezember kein Weihnachtsfest zu feiern, weil die Kirchenleitung dies für zu gefährlich hielt. Der Mangel an Sicherheit und die Schwierigkeiten beim Reisen bedeuten, dass die Gemeinden und Kirchen in den entlegeneren Gebieten im Bundesstaat Chin wirklich isoliert sind. Selbst die Beschaffung von Geld zur Bezahlung von Geistlichen und Kirchenmitarbeitenden ist schwierig, da das Bankensystem zusammengebrochen ist.

"Der Mangel an Sicherheit und die Schwierigkeiten beim Reisen bedeuten, dass die Gemeinden und Kirchen in den entlegeneren Gebieten im Bundesstaat Chin wirklich isoliert sind"

Gibt es Gruppen, die besonders im Visier des Militärs sind (z. B. Christ:innen, Muslim:innen, ethnische Minderheiten)?

Sneddon: Myanmar ist ethnisch sehr vielfältig, es gibt offiziell 135 große ethnische Gruppen im Land. Einige Gruppen haben Vereinbarungen und Absprachen mit der Junta getroffen, so dass sie weiterhin ihren Geschäften nachgehen können, aber es gibt immer wieder Spaltungen und Fraktionen. Das Volk der Bamar ist in der Mehrheit, einige ethnische Gruppen haben Allianzen gebildet – die Situation ist sehr komplex und ziemlich unbeständig. Viele ethnische Minderheitengruppen sind gegen die Junta, aber die Befürworter:innen der Demokratie kommen aus allen Teilen des Landes. Ich habe gelesen, dass der Widerstand gegen den Staatsstreich die ethnische Identität stärkt und zu Forderungen nach größerer Autonomie führt – etwas, das in den Verhandlungen, die 1948 zur Unabhängigkeit Burmas führten, versprochen, aber nie umgesetzt wurde.

Gibt es etwas, was wir in Europa persönlich oder politisch tun können, um die Menschen in Myanmar zu unterstützen?

Sneddon: Wir müssen weiterhin Druck auf die EU ausüben, damit sie die Sanktionen gegen die Junta und die mit ihr verbundenen Personen verschärft! Die Diplomatie wird in verschiedenen Foren wie der UNO und ASEAN fortgesetzt, allerdings mit wenig sichtbaren Erfolgen. Im Dezember verabschiedete der UN-Sicherheitsrat seine erste Resolution zu Myanmar seit dem Putsch vom 1. Februar 2021. Dies ist bedeutsam, aber es wurde auch kritisiert, dass sie nicht stark genug ist.

In unseren Kirchen können wir auf dem Laufenden bleiben – wir können schauen, was christliche Advocacy- und Interessensgruppen tun und informiert bleiben, damit wir für die Situation und für die Menschen in Myanmar beten können. Vielleicht gibt es sogar eine Diasporagruppe in unserem eigenen Umfeld, mit der wir Kontakt aufnehmen und Unterstützung anbieten können.

evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit für die inhaltliche Kooperation.