Washington (epd). Vor einem halben Jahrhundert, am 22. Januar 1973, hat das Oberste Gericht der USA in einem Grundsatzurteil festgelegt, dass Frauen das Recht haben, über ihre Schwangerschaft und einen Abbruch zu bestimmen. Kaum ein Urteil ist so kontrovers wie „Roe v. Wade“. Es wurde im Juni 2022 annulliert. Die Auseinandersetzung bleibt intensiv. Eine Chronologie:
22. Januar 1973: Mit sieben zu zwei Stimmen erklärt das Oberste US-Gericht das Abtreibungsverbot im Bundesstaat Texas für verfassungswidrig. Das Urteil setzt Antiabtreibungsgesetze landesweit außer Kraft. Das Verfassungsrecht auf Privatsphäre beinhalte das Recht einer Frau, über ihre Schwangerschaft zu bestimmen.
Die Texanerin Norma McCorvey, die ihre Schwangerschaft beenden wollte, hatte unter dem Namen Jane Roe gegen das Gesetz geklagt, das Abtreibungen nur gestattete, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist.
22. Januar 1974: Abtreibungsgegner veranstalten den ersten „Marsch für das Leben“ in der US-Hauptstadt Washington. Katholisch und evangelikal geprägte Kundgebungen mit Zehntausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern finden seitdem alljährlich statt.
4. November 1980: Der Republikaner Ronald Reagan wird zum US-Präsidenten gewählt mit Unterstützung von Abtreibungsgegnern. Im Gegensatz zum Demokraten Jimmy Carter fordert Reagan einen Verfassungszusatz zum Verbot der Abtreibung. Von da an gelten Republikaner als Abtreibungsgegner und Demokraten als Befürworter legaler Abtreibung. Reagan erlässt 1984 die sogenannte „Mexico City Policy“ zur Begrenzung der Familienplanungsberatung im Ausland.
29. Juni 1992: Mit fünf zu vier Stimmen bestätigt das Oberste Gericht „Roe v. Wade“, urteilt jedoch, dass die 50 Bundesstaaten Zugang zum Schwangerschaftsabbruch behindern dürfen, solange Restriktionen keine „unzumutbare Belastung“ darstellen. Zahlreiche Staaten beschließen daraufhin Warteperioden und andere Beschränkungen.
10. März 1993: Ein Abtreibungsgegner erschießt den Frauenarzt David Gunn vor einer Klinik in Pensacola (Florida). Nach Angaben des Verbandes National Abortion Federation haben Abtreibungsgegner von 1993 bis 2015 zwölf Ärzte, Klinikmitarbeiterinnen und Sicherheitspersonal ermordet.
8. November 2016: Donald Trump wird gegen Hillary Clinton zum Präsidenten gewählt. Zahlreiche Abtreibungsgegner stimmten für Trump in der Erwartung, er werde das Oberste Gericht umbesetzen, um „Roe v. Wade“ zu kippen.
21. Januar 2017: In der größten Kundgebung der Geschichte der US-Hauptstadt demonstrieren am Tag nach Trumps Amtseinführung Hunderttausende gegen den neuen Präsidenten und für das Recht auf Abtreibung.
26. September 2020: Trump nominiert mit der konservativen Juristin Amy Coney Barrett eine dritte Richterin zum Obersten Gericht. Gegner und Befürworter legaler Abreibung gehen davon aus, dass Abtreibungsgegner nun die Mehrheit haben im Gericht.
20. Januar 2021: Der demokratische Politiker Joe Biden löst Trump im Weißen Haus ab. Er tritt für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein.
1. Dezember 2021: Das Oberste Gericht befasst sich mit der Verfassungsmäßigkeit eines Anti-Abtreibungsgesetzes in Mississippi („Dobbs v. Jackson Women's Health“). Das Gesetz sieht ein Verbot von Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche vor.
24. Juni 2022: Mit einem weitreichenden Urteil zu „Dobbs“ hebt das Gericht das „Roe“-Urteil aus dem Jahr 1973 auf. Damit haben die 50 Bundesstaaten die Möglichkeit, Abtreibungsverbote zu erlassen. Ein gutes Dutzend Staaten haben Abtreibung seitdem verboten. Andere beschlossen Gesetze zum Schutz des Rechtes.
2. August 2022: Bei einer Volksabstimmung in dem als konservativ eingestuften Staat Kansas votieren 60 Prozent gegen eine von Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern vorgeschlagene Verfassungsänderung. Diese hätte es der republikanischen Mehrheit im Parlament ermöglicht, Abtreibungsrestriktionen zu beschließen.
8. November 2022: In Michigan, Kentucky, Kalifornien und Vermont stimmen die Wähler für den Schutz des Rechts auf Abtreibung. Im US-Repräsentantenhaus erringen Republikaner eine knappe Mehrheit. Damit können sie einem nationalen Gesetz für das Recht auf Abtreibung im Weg stehen.