Lützerath (epd). Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen appellieren an Demonstrierende und Polizei, bei der Räumung von Lützerath und den Protesten auf Gewalt zu verzichten. Er sorge sich um Leib und Leben sowohl der Menschen, die vor Ort demonstrieren, als auch der eingesetzten Polizistinnen und Polizisten, erklärte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, am Mittwoch in Düsseldorf zum Beginn der Räumung durch die Polizei.
Latzel erinnerte daran, dass der Kompromiss zu Lützerath und der Braunkohleverstromung „schmerzlich errungen“ worden sei, aber als rechtsstaatlich errungene Entscheidung zu respektieren sei. Der Präses würdigte das Engagement von Klimaschützern. Die Bewahrung von Gottes Schöpfung sei ein Kernanliegen der evangelischen Kirche. „Jede weitere Tonne Braunkohle ist eine zu viel für das Klima.“
Auch der katholische Aachener Bischof Hemut Dieser appellierte an die Menschen vor Ort, keine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen. Friedliche Proteste seien zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie. „Zu einem glaubwürdigen Rechtsstaat gehört aber auch, dass Regeln und Vereinbarungen eingehalten werden.“ Der Ausstieg aus der Braunkohlewirtschaft sei „gesamtgesellschaftlich definiert und beschlossen“. Lützerath sei der letzte Ort, der abgebaggert werde.
Wissenschaftler und Prominente forderten in offenen Briefen einen sofortigen Stopp der am Mittwoch begonnen Räumung von Lützerath. Ein Moratorium würde einen Dialog mit allen Betroffenen und die Überprüfung der Gründe für die Räumung ermöglichen, heißt es in einem Brief von „Scientists for Future“, den mehr als 500 Forschende unterschrieben haben.
Ähnlich äußern sich auch mehr als 200 Prominente, darunter die Schauspielerinnen Katja Riemann und Luisa-Céline Gaffron sowie die Band Sportfreunde Stiller, in einem weiteren offenen Brief, der unter anderem auf Instagram veröffentlicht wurde. Zuerst hatte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ darüber berichtet. Das Abbaggern der Kohle in Lützerath sei „nicht nur eine Frage der Existenz eines Dorfes, sondern eine Causa, die von globaler und klimapolitisch richtungsweisender Bedeutung ist“, heißt es in dem an Bundes- und Landesregierung sowie Bundes- und Landtag gerichteten Brief.
Die Abbaggerung des Ortes ist Teil eines politischen Kompromisses: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) hatten sich im Oktober 2022 mit RWE auf einen vorgezogenen Braunkohleausstieg 2030 verständig. Klimainitiativen wollen den Abbau der Kohle unter dem Weiler und die damit verbundenen CO2-Emissionen verhindern.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kritisierte die Art des Protests. „Wer brennende Barrikaden errichtet oder sich in wackligen Baumhäusern versteckt, bringt sich selbst und die Einsatzkräfte in große Gefahr“, sagte sie dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Mittwoch). Wer seine Anliegen mit Gewalt erzwingen wolle, verlasse diesen Konsens.
Am ersten Räumungstag kritisierten Demonstranten und Anwesende vor Ort ein aggressives Vorgehen der Polizei, etwa mit Schmerzgriffen und Schlagstöcken. Kritik äußerten unter anderem Mitglieder der Initiative „Kirchen im Dorf lassen“ und Timon Dzenius von der Grünen Jugend. In der Düsseldorfer Rheinischen Post„ (Donnerstag) sprach Dzenius von Polizisten, die Demonstranten “mit Hieben und Tritten„ angegriffen hätten und “brutal" auf das Gelände gestürmt seien.
Viele Demonstranten haben Lützerath mittlerweile laut Medienberichten friedlich verlassen. Die Polizei bezifferte ihre Zahl am Nachmittag auf rund 200 und nannte die allgemeine Lage ruhig. Zuvor war es nach Polizeiangaben zu Steinwürfen sowie dem Einsatz von Pyrotechnik und Molotowcocktails gegen Einsatzkräfte gekommen. Einzelne Aktivisten haben sich auf Bäumen oder auf Dächern verschanzt oder an Hindernissen befestigt. An dem Einsatz in Nordrhein-Westfalen sind 14 von 16 Länderpolizeien und die Bundespolizei beteiligt.
Der Konfliktforscher Andreas Zick appellierte an Polizei und Aktivisten, bei der Räumung von Lützerath den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Das Fatale in Lützerath sei die Aussichtslosigkeit und eine daraus entstehende Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Wut, sagte Zick dem Evangelischen Pressedienst (epd). So sollten selbst bei der Räumung weitere Signale kommen, mit den Klimaaktivisten im Gespräch zu bleiben.
Unterdessen erklärte die Deutsche Journalisten-Union (dju), dass die Berichterstattung erschwert werde. Nach den ersten Stunden ziehe die Gewerkschaft „eine erste negative Zwischenbilanz der Pressefreiheit“, twitterte Jörg Reichel, Geschäftsführer der dju Berlin-Brandenburg.