Frankfurt a.M. (epd). Der unbedingte Wille zu Friedensverhandlungen von Kolumbiens Präsident Gustavo Petro ist nach Einschätzung des Experten Günther Maihold trotz erster Rückschläge eine „riesige Chance“. Die neue Qualität der Dialogbereitschaft sei ein großes Plus gegenüber Petros Amtsvorgängers Iván Duque und die Einbindung ethnischer Minderheiten in die Gespräche etwas Neues, sagte der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Vorgehen berge aber auch viele Risiken, allein schon weil es durch die verschiedenen Beteiligten sehr schwer umsetzbar sei.
Der Linke und Ex-Guerillero Petro ist seit August im Amt und hat als wichtigstes Ziel, das seit Jahrzehnten von einem blutigen Konflikt beherrschte südamerikanische Land zu befrieden. An Silvester kündigte er eine sechsmonatige Feuerpause mit den fünf größten bewaffneten Gruppen an, musste sie jedoch am Mittwoch wieder teilweise zurückziehen, da die ELN-Guerilla verkündete, keine entsprechende Vereinbarung mit der Regierung getroffen zu haben. Mit der ELN verhandelt die Regierung bereits über einen Friedensvertrag, die nächste Runde ist für den 23. Januar geplant.
Maihold sieht durch diesen „Fehlstart für den allumfassenden Frieden“ nach der anfänglichen Euphorie die Gefahr eines Vertrauensverlusts. Die Feuerpause sei ein sehr gewagter und risikoreicher Schritt, sagte der Lateinamerika-Experte. Damit strebe der Staatschef die Niederlegung der Waffen durch etwa 15.000 Bewaffnete in rund 350 Gemeinden an - in einem Land, in dem der Staat nicht in allen Regionen präsent sei.
Neben der ELN nannte Petro als Teilnehmende der Feuerpause zwei Rebellengruppen und die beiden größten paramilitärische Milizen. Die Rebellengruppen sind Abspaltungen der einstigen Farc-Guerilla, die sich der Friedensvereinbarung mit der Regierung 2016 verweigert haben. Die Gaitán-Selbstverteidigungsgruppe (AGC) oder „Golf-Clan“ ist die größte kriminelle Organisation Kolumbiens mit Verbindungen zum mexikanischen Drogenkartell Sinaloa. Die Selbstverteidigungsgruppe der Sierra Nevada finanziert sich ebenfalls vor allem durch Drogenhandel und ist an der Atlantikküste präsent.
Risiken bei Petros Vorgehen sieht Maihold darin, dass nicht nur mit Drogenbossen, sondern auch mit Akteuren verhandelt werden soll, die nicht immer einheitlichen Kommandostrukturen unterliegen. Es könne nicht gewährleistet werden, dass sich diese dauerhaft an eine Feuerpause halten werden. Fraglich bleibe auch, wie die Regierung den Schutz ethnischer Minderheiten mit dem Ende der Waffenruhe gewährleisten werde. Hinzu komme ein „relativ großer Zeitdruck“, da die Vorbereitungen für mögliche Friedensgespräche nach Ablauf der Feuerpause beendet sein sollen.