Karlsruhe (epd). Das elterliche Recht auf Kindererziehung hat Grenzen: Besteht gegen Eltern ein begründeter Verdacht erheblicher Kindesmisshandlungen, dürfen auch bei nicht vollständig geklärten Ursachen der festgestellten Verletzungen weite Teile des Sorgerechts entzogen werden, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. (AZ: 1 BvR 1807/20)
Im Streitfall ging es um ein heute fünf Jahre altes Kind, bei dem im ersten Lebensmonat - im September 2017 - eine nicht vollends aufgeklärte Verletzung operativ behandelt werden musste. Bei dem Säugling wurde ein Spiralbruch des Oberschenkels sowie drei Hämatome festgestellt, die wohl von einem harten Zugriff stammten. Die in Südhessen lebenden Eltern konnten sich dies nicht erklären. Möglicherweise gehe der Bruch auf eine „Eigenbewegung“ des Kindes oder einem Sturz zurück, nachdem dieses aus den Armen gerutscht sei.
Als dann zwei Monate später bei einer Untersuchung eine Kopfveränderung sowie Flüssigkeitsansammlungen darin festgestellt wurden, gingen Ärzte von einem Schütteltrauma aus. Das Jugendamt entzog daraufhin den Eltern wegen des Verdachts einer erheblichen Kindesmisshandlung weite Teile des Sorgerechts und nahm das Kind in Obhut. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte die Entscheidung.
Die Eltern legten dagegen Verfassungsbeschwerde ein und sahen ihr elterliches Recht auf Erziehung und Pflege ihres Kindes verletzt. Doch das Bundesverfassungsgericht wies die Eltern ab. Mehrere medizinische Gutachten hätten den Verdacht einer Kindesmisshandlung erhärtet. Sei bereits ein Schaden bei einem Kind eingetreten oder lasse sich mit ziemlicher Sicherheit eine erhebliche Gefährdung voraussagen, dürften weite Teile des Sorgerechts entzogen werden.
„Je gewichtiger der zu erwartende Schaden für das Kind oder je weitreichender mit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls zu rechnen ist, desto geringere Anforderungen müssen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann“, entschieden die Verfassungsrichter. Ein vollständiger Ausschluss anderer Ursachen - hier etwa die theoretische Möglichkeit einer Stoffwechselerkrankung - sei dann nicht erforderlich..