Berlin (epd). Nach langem Ringen und einer Zitterpartie bei der Abstimmung hat der Bundestag das Gesetz zum Schutz behinderter Menschen vor Benachteiligung im Krankenhaus im Fall einer Pandemie beschlossen. Am Donnerstagabend stimmte das Parlament mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Regelung der sogenannten Triage zu. Einzelne Abgeordnete von Grünen und FDP votierten dabei allerdings dagegen. Die Regelung war zuvor auf breite Kritik bei Behinderten- und Ärzteverbänden gestoßen.
Das jetzt beschlossene Triage-Gesetz sieht vor, dass in Fällen der Knappheit durch eine übertragbare Krankheit die Zuteilung medizinischer Ressourcen etwa im Krankenhaus nur aufgrund „der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ getroffen werden darf. Eine Benachteiligung wegen Behinderung, Alter, Geschlecht oder Herkunft wird in dem Gesetz ausdrücklich untersagt.
Einen entsprechenden Schutz vor Diskriminierung durch ein Gesetz hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt. Menschen mit Behinderung hatten dort geklagt, weil sie befürchteten, in der Corona-Pandemie von vornherein bei der Zuteilung von Intensivkapazitäten benachteiligt zu werden. Das am Donnerstag beschlossene Gesetz sieht zudem einen Ausschluss der Ex-Post-Triage vor, bei der die Behandlung eines Patienten zugunsten eines anderen abgebrochen würde.
Der Gesundheitsausschuss hatte in dieser Woche noch Konkretisierungen am Gesetz vorgenommen und eine Evaluierungsregelung ergänzt. Behindertenverbände einerseits und Ärztevertreter andererseits hatten den Gesetzentwurf kritisiert. Die Einen fürchten, dass die Regelung nicht ausreicht, um Behinderte vor Nachteilen zu schützen. Die Anderen fürchten Rechtsunsicherheit und halten die Regelung in Teilen für kaum praktikabel. Sie sieht unter anderem vor, dass in bestimmten Fallkonstellationen bis zu drei Ärzte für die Entscheidung konsultiert werden müssen.
Auch die Opposition im Bundestag und das Deutsche Institut für Menschenrechte lehnten das Gesetz in der jetzigen Form ab. Das Institut hält das Kriterium der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ nicht für geeignet, Behinderte zu schützen, und forderte eine Verschiebung der Abstimmung.
Die Kritik des Instituts teilt auch die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer. Das Kriterium wirke „immanent diskriminierend“, erklärte sie. Es diene nicht dazu, die schwachen Patienten und Patientinnen zu schützen, „sondern ist im Gegenteil darauf gerichtet, die ,fittesten' zu retten“. Damit stelle das Gesetz den gleichen Wert jedes Menschenlebens infrage, schrieb Rüffer am Donnerstag in einer persönlichen Erklärung, in der sie ankündigte, gegen das Gesetz zu stimmen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) äußerte sich indes überzeugt davon, dass das Gesetz dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt. In seiner Rede im Bundestag unterstrich er zudem, dass es möglichst erst gar nicht so solchen Triage-Situationen kommen solle.
Zur Abstimmung über das Gesetz waren zunächst nicht alle Abgeordneten im Plenum des Bundestags anwesend. Dadurch fielen beim Votum nach der zweiten Lesung die Gegenstimmen in den Reihen der Koalition so ins Gewicht, dass das Präsidium des Parlaments die Mehrheit nicht eindeutig ausmachen konnte. In solchen Fällen wird dann durch einen Hammelsprung oder eine namentliche Abstimmung genau gezählt. Weil es dann auf jede Stimme ankommt, werden alle Abgeordneten ins Plenum gerufen.
Bei der namentlichen Abstimmung gaben 656 Abgeordnete ihre Stimme ab. 367 stimmten dafür, 284 dagegen, fünf enthielten sich. Die Schlussabstimmung erfolgte regulär durch Aufstehen. Dabei stimmten fünf Abgeordnete der Grünen und zwei der FDP gegen das Gesetz. Jeweils eine Person aus den beiden Fraktionen enthielt sich.