Hannover, Stuttgart (epd). Der hannoversche Philosoph Johannes Müller-Salo ist von den jüngsten Grenzüberschreitungen der „Letzten Generation“ nicht überrascht. „Die Klimaprotestler sind bis dato zwar auf faktischen, aber nicht auf den diskursiven Widerstand gestoßen, den es für fruchtbaren Streit braucht. Stattdessen haben alle freundlich applaudiert“, sagte der Ethik-Experte dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der 34-jährige ist Autor einer im Frühjahr erschienenen Streitschrift zu dem aus seiner Sicht bisher „kalten Konflikt der Generationen“. Er arbeitet zu Fragen der politischen Philosophie an der Universität Hannover. Derzeit ist er Vertretungsprofessor an der Universität Stuttgart.
Ende Oktober hatten radikale Klimaaktivisten mit Straßenblockaden in Berlin und Gemälde-Attacken in Potsdam und Den Haag Kritik auf sich gezogen. „Es ist natürlich problematisch, wenn so Menschen oder Kunstschätze zu Schaden kommen“, räumte Müller-Salo ein. Dennoch störe ihn das verbreitete mediale „framing“. Danach gehe das Hauptproblem von denen aus, die den Alltag stören. „Dabei ist es umgekehrt: Unsere Alltagsgewohnheiten zementieren die Klimakrise. Nicht die Radikalen, das Normale ist das Problem“, betonte Müller-Salo.
Es sei nachvollziehbar, dass die Jungen versuchten, Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Sie sind in der schwächeren Position, denn die Älteren sitzen an den Hebeln der Macht.“ Gleichwohl verfehlten die radikalen Aktionen ihr Ziel, insofern sie zwar für Aufregung, aber nicht für den nötigen Streit zwischen den Generationen sorgten. Denn nicht nur mit Blick auf die Klimafolgen, auch finanz- und rentenpolitisch würden Jüngere strukturell benachteiligt. Dies sei bisher kaum ins gesellschaftliche Bewusstsein getreten. „Dieser Konflikt muss von den Jungen angesprochen werden. Wir brauchen den offenen Streit, in den Familien und auf allen Ebenen“.
Erst wenn der Streit ernsthaft geführt werde, könne ein Problembewusstsein entstehen. „Das ist die Voraussetzung für politische Lösungen, auch klimapolitisch.“ Es fänden sich zu wenige Debattenteilnehmer, etwa Wirtschafts-Experten, die aktuelle Wirtschafts- und Mobilitätsgewohnheiten offensiv verteidigten. Stattdessen stimme jeder dem Anliegen der Klimaproteste zu. „Dadurch laufen die Proteste zumindest zivilgesellschaftlich ins Leere. Das erschwert der Klimabewegung ihre politische Arbeit enorm.“
Müller-Salo verwies auch auf die psychische Situation der junge Generation. In der öffentlichen Debatte werde weithin unterschätzt, wie die Klimakrise die Jungen emotional belaste. Umfragen zufolge sehe ein großer Teil für die Menschheit keine Zukunft.