Berlin, São Paulo (epd). Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen hat der Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva die Stichwahl um das Präsidentenamt in Brasilien knapp gewonnen. Lula erhielt 50,9 Prozent der Stimmen, wie die Wahlbehörde am Sonntagabend (Ortszeit) mitteilte. Auf den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro entfielen 49,1 Prozent der Stimmen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierten Lula zu dessen Wahlsieg. Auch aus zahlreichen weiteren Ländern erreichten den ehemaligen Gewerkschaftsführer, der das größte Land Lateinamerikas bereits von 2003 bis 2011 regiert hatte, Glückwünsche.
Das Resultat der Auszählung zeugt von der tiefen Spaltung Brasiliens, die durch den von Diffamierungen und Fake News geprägten Wahlkampf noch verstärkt wurde. So handelt es sich um das knappste Ergebnis zwischen zwei Finalisten einer Präsidentschaftswahl in Brasilien nach der Militärdiktatur (1964-1985). Der Unterschied zwischen Lula und Bolsonaro beträgt lediglich 2,1 Millionen Stimmen.
In seiner ersten Ansprache versprach Lula am Sonntagabend, das Land zu versöhnen. „Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk.“ Nun sei der Moment gekommen, den Frieden wiederherzustellen und die Waffen niederzulegen. „Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren“, sagte der 77-Jährige in São Paulo. Tausende seiner Anhänger verfolgten die Auszählung der Stimmen live im Stadtzentrum von São Paulo. Als kurz vor 20 Uhr Ortszeit der Wahlsieg von Lula feststand, brach Jubel aus.
Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz gratulierten Lula zu dessen Sieg. „Brasilien ist für Deutschland ein wichtiger strategischer Partner und ein Schlüsselakteur, um die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen“, erklärte Steinmeier. Er freue sich „auch persönlich“, die Zusammenarbeit fortzusetzen, schrieb Steinmeier in seiner Gratulation und regte ein Treffen mit Lula an. Scholz gratulierte bei Twitter. Er freue sich auf eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit insbesondere in Fragen von Handel und Klimaschutz, erklärte er.
Auch der US-amerikanische Präsident Joe Biden und der französische Staatschef Emmanuel Macron gratulierten Lula auf Twitter. Macron erklärte, die Wahl Lulas öffne eine neue Seite in der Geschichte Brasiliens. Biden teilte mit, er freue sich auf die Zusammenarbeit in den kommenden Monaten und Jahren. Der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell erklärte, die Europäische Union sei entschlossen, die Beziehungen zu Brasilien zu erweitern und zu vertiefen, auch in den Bereichen Handel, Umwelt, Klimawandel und der Digitalisierung.
Amtsinhaber Bolsonaro äußerte sich zunächst nicht zu seiner Niederlage. Selbst seine engsten Mitarbeiter konnten ihn laut brasilianischen Medien nicht erreichen. Er sei früh ins Bett gegangen, hieß es. Viele Brasilianer befürchten, dass der Ex-Militär das Wahlergebnis nicht akzeptieren wird. Bolsonaro hatte im Wahlkampf das elektronische Wahlsystem infrage gestellt und mit Behauptungen über Wahlbetrug provoziert. In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder gewaltsame Aktionen von Alliierten Bolsonaros gegeben. Verschiedene Vertreter von staatlichen Institutionen machten jedoch noch in der Wahlnacht klar, dass sie das Wahlergebnis anerkennen. Die Wahlen selbst verliefen ohne große Zwischenfälle.
Der Ex-Gewerkschaftsführer Lula hat seine stärksten Unterstützer im armen Nordosten und unter den Menschen mit einem geringen und mittleren Einkommen. Auf Bolsonaros Seite stehen das Militär, die Polizei und mehrheitlich Unternehmer, vor allem aus dem Agrarbusiness. Unter Bolsonaro hatte die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwaldes stark zugenommen. Er hatte zahlreiche Gesetzgebungen zum Schutz des Amazonas ausgehöhlt.
Lula wurde 2018 wegen Korruption und Geldwäsche zu einer Gefängnisstrafe von mehr als zwölf Jahren verurteilt. Lula selbst nannte seine Verurteilung politisch motiviert. 2021 erhielt er sämtliche politischen Rechte zurück, nachdem der Oberste Gerichtshof die Urteile gegen ihn aufgehoben hatte.