Berlin (epd). Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan kam nach Angaben des ehemaligen Gesandten in der deutschen Botschaft Kabul, Gregory Bledjian, schneller als von ihm erwartet. Bei der Befragung im Afghanistan-Untersuchungsausschuss im Bundestag am Donnerstag sagte er, das Szenario eines Sturms auf Kabul und dem schnellen Kollaps der Regierung sei ihm zu pessimistisch gewesen. Mit der Einschätzung habe er sich damals in guter Gesellschaft befunden.
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss will unter Vorsitz des SPD-Abgeordneten Ralf Stegner unter anderem herausfinden, wie es dazu kam, dass zahlreiche afghanische Ortskräfte, die für die Bundeswehr und andere deutsche Institutionen gearbeitet haben, beim Truppenabzug aus dem Land zurückgelassen wurden.
Bledjian, der zwischen Mai 2020 bis Mitte Juni 2021 für die deutsche Botschaft in Kabul tätig war, sagte, er habe in dem Zeitraum keine einzige Gefährdungsanzeige von einer Ortskraft bekommen. Es habe aber ein erhöhtes abstraktes Gefährdungsniveau gegeben. Das sogenannte Ortskräfteverfahren, über das gefährdete Ortskräfte nach Deutschland geholt werden konnten, sei auf niederschwelliger Arbeitsebene bearbeitet worden. Er selbst sei damit im engeren Sinne nicht befasst gewesen.
In Bezug auf eine mögliche Visa-Vergabe an afghanische Ortskräfte stellte er klar, dass die Botschaft seit einem Anschlag 2017 keine Visastelle mehr gehabt habe und daher schon rein technisch gar keine Visa habe ausstellen können. Ihm sei auch nicht bewusst, ob über die Ortskräfte für deutsche Institutionen Buch geführt worden sei.
Der Ausschuss will auch die Umstände der militärischen Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 klären. Die Operation war wegen der schnellen Rückeroberung des Landes durch die radikal-islamischen Taliban nötig geworden.