Da auch Nikas kleiner Sohn Manu umgehend als Zweitmutter akzeptiert, könnte dieser Film eine nicht weit aufregende Geschichte über die typischen Probleme einer Familie erzählen, in der einer Frau die Selbstverwirklichung verwehrt bleibt, weil sie sich um die Kinder kümmert; trotzdem muss sie nebenbei Geld verdienen, weil das Haus noch nicht abbezahlt ist.
Allerdings deutet schon der Titel "In falschen Händen" an, dass die Handlung irgendwann das Genre wechseln wird. Tatsächlich ist es vor allem die Erwartung, dass irgendwas Schlimmes passieren wird, der dieses Drama seine hintergründige Spannung verdankt, zumal Holger Joos (Buch) und Mark Monheim (Regie) mit dem Prolog auch vordergründig ein entsprechendes Zeichen setzen, als Manu (Katharina Schlothauer) von einem Unbekannten in der Tiefgarage verfolgt wird.
Nach diesem Thriller-Auftakt wechselt der Film jedoch radikal sein Vorzeichen: Manu studiert auf einem Spielplatz die Stellenanzeigen in der Zeitung, als sie sieht, wie ein Junge eine waghalsige Kletteraktion startet und prompt abstürzt. Die Mutter (Pegah Ferydoni) ist abgelenkt, aber Manu fängt den kleinen Leon auf; und so beginnt die Frauenfreundschaft. Nika ist begeistert, ihr Mann Tom (Florian Stetter) nach anfänglichem Zögern, weil er im Netz nichts über Manu findet, ebenfalls. Das Ehepaar entdeckt die fast vergessene Leidenschaft füreinander; Leon ist viel ausgeglichener als früher, weil Manu buchstäblich Tag und Nacht für ihn da ist. Und so wäre allen geholfen, wenn da nicht die kleinen Irritationen wären, denn die Nanny scheint den Jungen in ein anderes Kind verwandeln zu wollen. Außerdem fühlt sich Nika mehr und mehr aus ihrer Mutterrolle gedrängt; prompt beginnt eine Art Wettbewerb der beiden Frauen um die Gunst des Jungen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Weil Monheims Inszenierung die Handlung auch dank gezielt eingesetzter kleiner Schockelemente in der Schwebe hält, könnte sich "In falschen Händen" in alle möglichen Richtungen entwickeln. Für Nika ist Manu ein Geschenk des Himmels. "Du bist ein Engel", sagt sie zu ihr, und natürlich resultiert der Reiz des Films aus der Frage, ob Manu nicht doch eher eine Teufelin ist. Ihre Motive bleiben lange Zeit völlig unklar: Will sie Leon entführen? Will sie Nikas Platz einnehmen, wie das unverkennbare Detail des aufgetragenen Lippenstifts während eines gemeinsamen Ausflugs mit Tom und den Kindern nahelegt? Und wer ist der Mann (Aurel Manthei) aus der Tiefgarage, der ihr nachzustellen scheint?
Als Tom sie zur Polizei fährt, damit sie den Kerl anzeigt, macht sie sich heimlich aus dem Staub. Katharina Schlothauers reduziertes Spiel lässt keinerlei Schlüsse zu, selbst wenn die zurückhaltende Bildgestaltung (Rebecca Meining) die Zweifel an ihrer seelischen Gesundheit nährt: Ihr karg möbliertes Apartment in einem Wohnsilo ist konsequent in Grau gehalten, während das Haus von Nika und Tom stets einladend und heimelig wirkt. Als Manu abends in der Küche des Paars steht, wirken die Lamellen am Fenster wie Gitterstäbe. Die Nähe der Kamera zur Hauptfigur unterstreicht Manus stille Verzweiflung noch. Kurze Rückblenden verraten nach und nach, dass die Frau ein furchtbares Erlebnis hatte, in das ein kleiner Junge involviert war.
Sehenswert wäre "In falschen Händen" schon allein wegen des Trios Schlothauer/Ferydoni/Stetter, aber ungleich bemerkenswerter ist Monheims Arbeit mit dem sechsjährigen Sole Inan Aktas; Anne Walchers Castingagentur ist ohnehin die erste Adresse, wenn’s um Kinder geht. Der lebhafte Lockenkopf agiert völlig natürlich, auch die emotionale Nähe zu den beiden "Müttern" steht nie außer Frage. Ähnlich gut ist der zweite Junge (Paul Teske) ausgewählt.
Monheim, vielfach ausgezeichnet für seinen Kinofilm "About a Girl", eine toll gespielte Tragikomödie mit Jasna Fritzi Bauer über einen Teenager zwischen Lebensmüdigkeit und Übermut, hat zuletzt unter anderem "Nemesis" (2019) gedreht, einen erlesen gefilmten "Tatort" aus Dresden, in dem ebenfalls eine Mutter eine zweifelhafte Rolle spielte. Joos hat unter anderem die ARD-Reihe "Die Diplomatin" mit Natalia Wörner entwickelt; eine seiner besten Arbeit war "Unklare Lage" (2020), ein exzellenter "Tatort"-Thriller aus München, in dem die Stadt nach einer Terrorwarnung in den Ausnahmezustand versetzt wird.