Der frühere Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt, sagte dem "Tagesspiegel": "Wir sind zurück in einer neuen Sowjetunion." Das Verhältnis zwischen russischen und ukrainischen Juden belaste der Krieg aber nicht. Im vergangenen halben Jahr seien rund 15.000 Juden aus der Ukraine und 25.000 Juden aus Russland nach Israel ausgewandert. "Wir helfen einander, wo wir können. Die Politik der Regierungen in Kiew und Moskau beeinflusst unsere Verbundenheit nicht", sagte der 59-Jährige.
Der gebürtige Züricher und Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz war seit 1993 Oberrabbiner von Moskau. Wegen seiner Kriegs-kritischen Haltung hat er Russland im Juli 2022 verlassen müssen.
Er erhalte viele Nachrichten von Juden in Russland, die ihm sagen, dass es richtig sei, öffentlich Position zu beziehen, sagte Goldschmidt: "Ich verstehe, dass es für Juden, die dort noch leben, schwierig ist. Es ist vor allem gefährlich. Ich schätze, dass rund neunzig Prozent der Juden in Russland mich unterstützen."
Viele Juden dort hätten jetzt auch Angst vor einem neuen Antisemitismus. Es gebe in Russland eine Art Graswurzel-Antisemitismus. "Er ist vorhanden, wurde aber lange Zeit unterdrückt. Jetzt haben viele Juden Angst, dass er wieder aufkeimt. Es wäre nicht das erste Mal in der russischen Geschichte", sagte Goldschmidt.