Berlin (epd). Ärzte und Therapeuten fordern mehr Geld für die Suizidprävention in Deutschland. Jedes Jahr würden in Deutschland ungefähr 9.000 Menschen durch Suizid sterben, sagte die Berliner Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Birgit Wagner, vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSpro) am Montag: „In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen zusammen“, sagte sie. Statistisch gesehen nehme sich alle 57 Minuten in Deutschland ein Mensch das Leben. Am 10. September ist Welttag der Suizidprävention.
Weit mehr als 100.000 Menschen erlitten jedes Jahr den Verlust eines nahestehenden Menschen durch Suizid, sagte Wagner. Auf jeden Suizid kämen zudem 10 bis 20 Suizidversuche. Von jedem Suizid seien im Durchschnitt sechs Menschen unmittelbar betroffen und müssten sich neben der Trauer mit Schuldgefühlen und gesellschaftlicher Stigmatisierung auseinandersetzen. „Suizid ist ein bedeutendes gesellschaftliches und gesundheitspolitisches Problem“, betonte Wagner.
Nach Angaben des Professors für Soziale Therapie in Kassel, Reinhard Lindner, wird das vor 20 Jahren gegründete Nationale Suizidpräventionsprogramm aktuell mit 460.000 Euro in drei Jahren vom Bundesgesundheitsministerium gefördert. „Das ist nicht genug“, sagte Lindner. Hochgerechnet auf die Einwohnerzahl würden etwa 15 Millionen Euro gebraucht, um ein dichtes Netz an Beratungs- und Präventionsangeboten zu etablieren. Er verwies auf Irland, wo für die rund fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohner fünf Millionen Euro dafür zur Verfügung stünden.
Erfreulich sei, so Lindner, dass die Zahl der Suizide in den vergangenen 20 Jahren um 17 Prozent zurückgegangen sei auf etwa 9.000 im Jahr 2020. Der Höchststand lag im Jahr 1981 mit damals 18.825. Ein Grund für den Rückgang ist laut Lindner die Verbesserung der psychologischen und psychiatrischen Beratung, aber auch die Aufklärungsarbeit des Nationalen Suizidpräventionsprogramms.
Laut der Kölner Psychiaterin Barbara Schneider treten mehr als 40 Fachverbände und Verbände der Palliativ- und Hospizarbeit für eine gesetzliche Fundierung der Suizidprävention ein. In einem im Juli veröffentlichten Eckpunktepapier fordern sie unter anderem die Einrichtung einer bundesweiten Informations-, Beratungs- und Koordinationsstelle zur Suizidprävention, eine nachhaltige Unterstützung für Hinterbliebene und Angehörige und die Förderung der Forschung zu Suizidalität und Suizidprävention. Zudem müssten bestehende palliative und hospizliche Angebote sowie Trauerbegleitungsangebote ausgebaut werden.
„Angebote der Suizidprävention dürfen nicht schwerer erreichbar sein als der Zugang zum assistierten Suizid“, warnte NaSPro-Vorstand Lindner. Auch die vorliegenden Gesetzentwürfe zur Regelung des assistierten Suizids hätten „mit Suizidprävention wenig zu tun“. Studien belegten zudem, dass auch die Angehörigen nach einem assistierten Suizid oftmals in große Schwierigkeiten geraten, sagte seine Kollegin Wagner. Viele hätten danach signifikant häufiger Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung.