Hamburg (epd). Der Psychiater und Theologe Manfred Lütz hat sich für eine zentrale staatliche Missbrauchsaufarbeitung ausgesprochen. Dazu bedürfe es einer hochrangigen Expertengruppe aus unabhängigen Persönlichkeiten ohne innerkirchliche oder innerverbandliche Agenda, schreibt Lütz in einem am Sonntagabend online veröffentlichen Gastbeitrag für den „Spiegel“.
Das Problem sei, dass Missbrauch inzwischen als spezielles Phänomen der katholischen Kirche betrachtet werde, argumentiert Lütz. Das sei es aber mitnichten. Doch die theatralische Überbelichtung des Missbrauchsthemas in der katholischen Kirche habe zu einer gefährlichen Unterbelichtung in anderen Bereichen geführt - wie etwa dem Sport.
Zudem seien die Ergebnisse der seit 2010 laufenden Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche „erschreckend dürftig“, schreibt Lütz, der die katholische Deutsche Bischofskonferenz nach eigenen Angaben bis 2011 beraten hatte. Für die katholische Kirche hätten Juristen das Kommando übernommen. Sie sorgten dafür, dass die Kirche nicht von „Entschädigung“ spreche, um keine Begehrlichkeiten zu wecken, dass man nur zweifelsfrei nachweisbare „Pflichtverletzungen“ benenne wie etwa die völlig sinnlose Nichtmeldung längst verjährter Fälle, die keinem Betroffenen helfe.
In München sei etwa die Frage zum Skandal hochgejubelt worden, ob der spätere Papst Benedikt XVI. bei einer inhaltlich völlig irrelevanten Sitzung anwesend gewesen sei oder nicht. „All das geht an der Sache selbst vorbei“, kritisiert er. Die Konsequenzen dieser juristischen Ausarbeitungen seien denn auch „von umwerfender Schlichtheit“: „Man plädiert für eine Paginierung der Personalakten, für eine Klärung der Zuständigkeiten und für Fortbildungen der kirchlichen Führungskräfte in Leitungsfragen.“ In zwölf Jahren millionenschwerer „Aufarbeitung“ in der katholischen Kirche sei noch kein einziger Verantwortlicher wegen eigenen Fehlverhaltens freiwillig zurückgetreten.
Die katholische Kirche komme offensichtlich aus diesen „sinnlosen Aufarbeitungsriten“ nicht allein heraus. Daher begrüßte Lütz, dass die Bundesregierung eine unabhängige staatliche Untersuchung in die Wege leiten wolle. Er forderte, die Aufarbeitungskommissionen der 27 katholischen Bistümer, die nur zu wissenschaftlich wertlosen, weil nicht vergleichbaren Ergebnissen geführt hätten, aufzulösen und alle Daten einer zentralen staatlichen Untersuchungskommission zu übergeben.