Ampelkoalition beschließt 65-Milliarden-Entlastungspaket

Ampelkoalition beschließt 65-Milliarden-Entlastungspaket
Versprochen war ein "wuchtiges Paket": Nun haben sich die Regierungsparteien auf Entlastungen geeinigt, deren Umfang die bisherigen deutlich übertrifft. Das Geld dafür soll auch von Energieunternehmen kommen.

Berlin (epd). Einmalzahlungen für Rentner und Studierende, mehr Kindergeld, ein Strompreisdeckel und das Bekenntnis zu einem bundesweiten ÖPNV-Ticket: Die Ampelkoalition will die Menschen in Deutschland wegen hoher Inflation und Energiepreisen um weitere 65 Milliarden Euro entlasten. „Unser Land steht vor einer schweren Zeit“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag nach den Verhandlungen von SPD, Grünen und FDP in Berlin. Das dritte Entlastungspaket sieht auch ein Eingreifen in den Strommarkt vor, das Preiswucher verhindern und dem Staat zusätzliche Einnahmen bescheren soll.

Konkret sieht das Papier vor, die Energiepreispauschale von 300 Euro, die alle einkommensteuerpflichtigen Bürger im September erhalten, auch Rentnerinnen und Rentnern zu zahlen. Studierende und Fachschüler sollen eine Einmalzahlung von 200 Euro erhalten. Das Kindergeld soll im nächsten Jahr um 18 Euro pro Monat für das erste und zweite Kind angehoben werden. Für Niedrigverdiener wird bei den sogenannten Midi-Jobs ab 2023 die Grenze, ab der Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen, auf 2.000 Euro angehoben. Sie behalten damit mehr vom Einkommen übrig.

Ebenfalls zum nächsten Jahr soll es eine Wohngeld-Reform geben, mit der eine Heizkostenkomponente eingeführt wird. Scholz zufolge wird der Kreis Berechtigter damit auf bis zu zwei Millionen Menschen erweitert. Eine Einigung gab es im Streit über das Bürgergeld, mit dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zum 1. Januar Hartz IV ablösen und eine höhere Grundsicherung durchsetzen will. Das Bürgergeld soll dem Papier zufolge rund 500 Euro pro Monat betragen, für einen alleinstehenden derzeitigen Hartz-IV-Empfänger wären dies rund 50 Euro mehr.

Entschieden wurde außerdem, dass das 9-Euro-Ticket für den Regionalverkehr einen Nachfolger erhalten soll. Nach seinem Vorbild soll es künftig ein bundesweit im ÖPNV gültiges Ticket geben, das der Bund mit jährlich 1,5 Milliarden Euro unterstützen will. Als Preisspanne nennt das Papier 49 bis 69 Euro pro Monat.

Das von der Koalition geplante Entlastungspaket sei größer als die beiden im Frühjahr auf den Weg gebrachten zusammen, betonte Scholz. Die ersten beiden Pakete umfassten rund 30 Milliarden Euro.

Zur Finanzierung will die Koalition hohe Gewinne von Energieunternehmen abschöpfen. Scholz sprach von einer Erlösobergrenze für Stromerzeuger, die für die Produktion nicht auf das derzeit sehr teure Gas angewiesen sind. Dies werde dafür sorgen, dass die Preise sinken. Zudem sollen dadurch sogenannte Zufallsgewinne entweder vermieden oder abgeschöpft werden. Die Koalition will sich für eine entsprechende Regelung auf EU-Ebene einsetzen, würde sie dem Kanzler zufolge aber auch national umsetzen, sollte dies nicht schnell gelingen. Die abgeschöpften Gewinne sollen dafür sorgen, dass Privathaushalten eine gewisse Menge Strom - ein sogenannter Basisverbrauch - vergünstigt zur Verfügung gestellt wird.

Man müsse an die Ursache der Belastungen heran, betonte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Allein diese Maßnahme bringe voraussichtlich eine Entlastung in zweistelliger Milliardenhöhe. Zudem soll die zum Januar anstehende Erhöhung des CO2-Preises bei Energie um ein Jahr verschoben werden, wie SPD-Co-Parteichefin Saskia Esken hervorhob.

Das Entlastungspaket rief bei den Sozialverbänden geteilte Reaktionen hervor. Die Diakonie erklärte, die Regierung stelle „richtige und wichtige Weichen“. Das Papier leiste einen wichtigen Baustein für sozialen Frieden, müsse nun aber zügig umgesetzt werden, forderte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Auch der Sozialverband VdK und die Caritas lobten die Einigung: „Die sozialen Folgen der politisch verursachten Gasknappheit werden spürbar abgefedert“, erklärte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband, VdK und Diakonie kritisierten aber, dass in diesem Jahr keine Erhöhung der Hartz-IV-Leistungen mehr geplant sei. Die Anhebung der Grundsicherung auf knapp 500 Euro mit Einführung des Bürgergeldes am 1. Januar sei „ein schlechter Witz und wird, wenn überhaupt, gerade die Inflation ausgleichen“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider. Lob gab es von den Verbänden für die geplante Wohngeld-Reform.