Immer wieder betont Donald Norwood in seiner Geschichte des Ökumenischen Rates der Kirchen, dass der Rat beraten und empfehlen kann, aber keine Weisungsbefugnis oder Entscheidungsmacht über die Mitgliedskirchen besitzt. Daher stehen bei ihm die Vollversammlungen des Rates von der ersten in Amsterdam 1948 bis zur bisher letzten 2013 in Busan, Südkorea, als Momente von Begegnungen und dem gemeinsamen Ringen angesichts von Herausforderungen und Bedrohungen im Mittelpunkt.
Neben den Orten und Themen der Versammlungen werden Menschen vorgestellt, die durch ihr Engagement die ökumenische Bewegung geprägt haben, und die sich bei diesen Gelegenheiten begegnet sind, mit ihren Gaben eingebracht haben und auch gestritten haben. Norwood kommentiert dabei immer wieder die starke Rolle von Frauen, dass deren Zahl über die Jahrzehnte wuchs, dass hier aber noch viel Luft nach oben sei.
Für diejenigen, die schon mal eine Geschichte des Ökumenischen Rates der Kirchen gelesen haben, ist etwas überraschend, welche Themen und Herausforderungen für die ökumenische Bewegung Norwood bei seiner Beschreibung der Vollversammlungen aufgreift. Es sind nämlich nicht immer nur die, für die diese Vollversammlungen üblicherweise bekannt sind. In seiner Darstellung greift er dann auf frühere Diskussionen zurück oder zieht die Linien bis in die Gegenwart aus. Das führt zu überraschenden Blicken auf die Vollversammlungen und die Beratungen, die auf ihnen stattfanden.
Mit Blick auf erwartete Diskussionen in Karlsruhe ist es z. B. interessant, dass Norwood für die zweite Vollversammlung 1954 in Evanston, USA, das Thema des Verhältnisses zum Judentum und die Aufarbeitung der Schuldgeschichte um den Holocaust thematisiert. 1948, so Norwood, wollten die in Amsterdam Versammelten den Eindruck vermeiden, die Errichtung des Staates Israels im Jahre 1948 abzusegnen. Auch ein Schuldbekenntnis zum christlichen Antisemitismus und zum Holocaust erfolgte erst 1961 bei der Vollversammlung in Neu-Delhi, Indien. Diesen Themenstrang zieht er dann weiter aus bis zur Einsetzung des Ökumenischen Begleitprogramms für Palästina und Israel (EAPPI) im Jahre 2001.
Überraschender Blick auf prägende Themen
Mit Blick auf ein zweites wichtiges Anliegen in Karlsruhe, die Folgen des Klimawandels und Ökotheologie fällt der Abschnitt zur sechsten Vollversammlung in Vancouver 1983 knapp aus. Für diejenigen, die Vancouver vor allem mit dem Begriff der Nachhaltigkeit und dem Programm Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung verbinden, mag es überraschen, dass Norwood hier Gebet, die Einheitsfrage und Unmöglichkeit der gemeinsamen Eucharistiefeier ebenso wie die Frage nach Inklusion und der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen verhandelt.
Das Programm für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (JPIC) behandelt er dann im Zusammenhang mit der nächsten Vollversammlung 1991 in Canberra. Während diese Versammlung oft mit dem Thema Evangelium und Kultur im Anschluss an den vieldiskutierten Vortrag der südkoreanischen Theologin Chung verbunden wird, greift Norwood die Stellungnahme der Versammlung zu Rechten indigener Völker auf Land und Selbstbestimmung auf, was schon in Vancouver eine Rolle spielte.
Ein weiterer interessanter Aspekt des Buches, das seine Lektüre lohnend macht, ist, dass Norwood auf Versäumnisse aufmerksam macht. Die nicht erfolgte Entschuldigung und Vergebungsbitte für den Holocaust in Amsterdam wurde bereits erwähnt. Die Vollversammlung 1998 in Harare fand keine offiziellen Worte zu dem gerade mal vier Jahre zurückliegenden Völkermord in Ruanda, in dem Christ*innen andere Christ*innen ermordeten. Die Geschichte der ökumenischen Begegnungen umfasst eben auch ihr Schweigen zu bestimmten Entwicklungen und der späteren Aufarbeitung solcher Versäumnisse.
Gemeinsam auf dem Weg
Zur bisher letzten Vollversammlung 2013 in Busan hebt er hervor, wie das Leitthema des Pilgerwegs der Gerechtigkeit und des Friedens nicht als neues Programm, sondern als eine neue Art verstanden wurde, worum es den Mitgliedskirchen des ÖRK in ihrer Gemeinschaft und ihren Begegnungen geht. Während das Motto von 1948 nach den gegenseitigen Verteufelungen und den Millionen Toten war, zusammenzubleiben, betonte das Motto von Busan den Willen, sich gemeinsam auf den Weg zu machen.
Das Buch endet mit kurzen Ausblicken auf neue, weniger institutionalisierte Formen wie den genannten Pilgerweg und das globale Christliche Forum, die die Bedeutung des Rates als Forum der Begegnung für Kirchen nicht mindern. Norwood schließt seine erfrischend zu lesende und eher erzählende Darstellung mit einem deutlichen Votum dafür, das Erreichte zwar zu feiern, es aber zurückzulassen, um als Pilger*innen gemeinsam weiterziehen zu können.
Dazu zitiert er einen Pfingsttheologen, dass man sich in der Ökumene gegenseitig alles gesagt habe, was zu sagen sei, und dass die Gründe für die Spaltung verstanden wurden. Was soll also der nächste Schritt sein? Norwoods gut zu lesendes Buch ist damit eine gute Vorbereitung und schöne Einladung für die kommende Vollversammlung in Karlsruhe: Was werden die nächsten Schritte der ökumenischen Bewegung sein?
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