Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), auch Weltkirchenrat genannt, steht seit Jahren in der Kritik, im Nahost-Konflikt einseitig Partei für die Palästinenser zu ergreifen. Immer wieder weist der Weltkirchenrat diese Vorwürfe zurück. Der ÖRK verurteile "jegliche Form von Gewalt, egal ob sie in den besetzten palästinensischen Gebieten vom Staat Israel ausgeht oder von bewaffneten palästinensischen Gruppen auf dem Gebiet des Staates Israel", erklärte der geschäftsführende ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca zuletzt nach einem Besuch in der Krisenregion Mitte Juli.
Zugleich betonte der rumänisch-orthodoxe Priester Sauca: "Eine Kritik an der Politik der israelischen Regierung ist nicht per se antijüdisch." Der Nahost-Konflikt wird auch auf der 11. ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe eine wichtige Rolle spielen. Mehr als 4.500 Repräsentanten der nicht-katholischen Christenheit treffen sich dazu erstmals in Deutschland. Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von 352 Kirchen mit weltweit über 580 Millionen Christinnen und Christen.
Neben dem Vorwurf pro-palästinensischer Parteinahme sieht sich der ÖRK immer wieder dem Vorwurf der Israelfeindlichkeit ausgesetzt. So warf die jüdische Organisation B'nai B'rith dem designierten neuen ÖRK-Generalsekretär, dem südafrikanischen Theologieprofessor Jerry Pillay, eine "offene Feindschaft" gegenüber Juden und Israel vor. Pillay sei bekannt für anti-jüdische und anti-israelische Kommentare. Pillay habe Israel mit dem früheren südafrikanischen Apartheid-Staat verglichen.
Pillay entgegnete darauf Ende Juni: "Der ÖRK würde nie eine Leitungsperson wählen, die auf irgendeine Art und Weise antisemitische Gesinnungen darstellt oder verbreitet. Der ÖRK fördert und nährt fortwährend Gerechtigkeit und Frieden und äußert immer wieder Bedenken in Bezug auf Fragen der Gerechtigkeit in Israel und Palästina." Pillay soll sein Amt im Januar 2023 antreten.
Der Ökumenische Rat der Kirchen wehrte sich 2019 zudem dagegen, als Unterstützer der israelkritischen BDS-Bewegung dargestellt zu werden. Ein entsprechender Text in der "New York Times" sei falsch, hieß es aus Genf. BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions" - auf deutsch: "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" (BDS). Die Kampagne wurde 2005 von mehr als 170 palästinensischen Organisationen gestartet.
Die BDS-Bewegung wurde in Anlehnung an die frühere Anti-Apartheid-Kampagne gegen Südafrika ausgerufen und ruft zum Boykott israelischer Waren auf. Der Bundestag hatte 2019 die Argumentationsmuster der BDS-Bewegung als antisemitisch bezeichnet.
Der Weltkirchenrat unterstütze weder in diesem noch in anderen Kontexten Boykotts aufgrund von einer Staatszugehörigkeit, so eine ÖRK-Sprecherin. Genauso wenig unterstütze der Rat wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen den Staat Israel: "Bereits seit langem vertritt der ÖRK jedoch eine Grundsatzposition für den Boykott von Gütern und Dienstleistungen aus Siedlungen (die von der internationalen Staatengemeinschaft als illegal eingestuft werden) in den besetzten palästinensischen Gebieten."
Auf der Vollversammlung in Karlsruhe könnte auch die Kairos-Palästina-Bewegung eine Rolle spielen. Die Unterzeichner des sogenannten Kairos-Palästina-Dokuments von 2009 - darunter führende Theologen und Bischöfe aus der Region und vielen Konfessionen - bezeichnen darin die Besetzung der Palästinensergebiete "als Sünde gegen Gott und die Menschen". Der Aufruf vor allem palästinensischer Christen, den auch der ÖRK in Genf verbreitete, sorgte bei jüdisch-christlichen Organisationen für Empörung. Das Papier sehe die Schuld des Nahostkonflikts einseitig bei den Israelis, hieß es.
"Überfällig ist eine Selbstreflexion des ÖRK, seines Verhältnisses zu Israel und zum Judentum: Lippenbekenntnisse gegen Antisemitismus und eine stabile anti-israelische Praxis ergeben kein überzeugendes Bekenntnis", heißt es in einem Beitrag des Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und früheren grünen Bundestagsabgeordneten, Volker Beck, für die "Jüdische Allgemeine" von Mitte August.
Aus dem Weltkirchenrat gibt es bereits Signale, dass man in Karlsruhe auf deutsche Befindlichkeiten wenig Rücksicht nehmen wird. "Natürlich ist der deutsche Kontext ein besonders sensibler in einer solchen Debatte", sagte der Direktor der ÖRK-Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten, Peter Prove, Ende Juli dem evangelischen Magazin "Chrismon". Dennoch geht es laut Prove um "konkrete Gerechtigkeitsfragen, die in einer globalen Versammlung diskutiert werden müssen".