Berlin (epd). Ein Jahr nach der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan werden die Forderungen zur Rettung ehemaliger afghanischer Ortskräfte deutscher Institutionen immer dringlicher. Beim ersten „Kongress afghanische Ortskräfte“ in Berlin diskutierten am Samstag ehemalige afghanische Helfer der Bundeswehr in der Französischen Friedrichstadtkirche mit Politikern über ein mögliches Vorgehen. Der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, Marcus Grotian, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), ein Jahr sei vergangen und immer noch seien zahlreiche dieser Menschen nach wie vor in Afghanistan.
Viele von ihnen würden niemals eine Aufnahmezusage erhalten, „weil man sich nicht ehrlich macht, wer wirklich für uns arbeitet“, kritisierte er. Dass es aber inzwischen auch zahlreiche Menschen mit Zusagen gebe, liege daran, dass sich etwas verbessert habe. Nur zehn Prozent der Zusagen seien von der alten Regierung gemacht worden und 90 Prozent von der neuen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versicherte unterdessen in der „Bild am Sonntag“: „Wir lassen sie nicht zurück.“ Sie arbeite mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am neuen Bundesaufnahmeprogramm, „mit klaren Kriterien“, erklärte sie. Mittlerweile habe man 15.759 afghanische Ortskräfte und Familienangehörige nach Deutschland geholt.
Die Bundestagsabgeordneten Helge Lindh (SPD), Robin Wagner (Grüne) und Alexander Müller (FDP) sagten, es müsse alles getan werden, um so viele Ortskräfte und deren Familien wie möglich aus Afghanistan zu retten. Sie sprachen sich zugleich für eine Aufarbeitung der Versäumnisse aus und verwiesen auf den Afghanistan-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Der Ausschuss war vor der parlamentarischen Sommerpause eingesetzt worden und soll die militärische Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 aufarbeiten, die wegen der schnellen Rückeroberung des Landes durch die Taliban nötig wurde. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, wie es dazu kam, dass zahlreiche afghanische Ortskräfte, die für die Bundeswehr und andere deutsche Institutionen gearbeitet hatten, zurückgelassen wurden.
Der FDP-Abgeordnete Müller, der auch verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, kritisierte, dass es damals noch nicht einmal einheitliche Zahlen zu den Ortskräften gegeben habe: Das Innenministerium, das Außenministerium und das Verteidigungsministerium hätten jeweils eigene Listen dazu gehabt und verschiedene Verfahren. „Jeder wurschtelte vor sich hin.“
An dem Kongress nahm auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), teil, die sich dafür aussprach, das Aufnahmeverfahren für Ortskräfte zu erleichtern. An sie richtete sich eine Petition, in der die Organisation Pro Asyl, Mitorganisatorin des Kongresses, die Regierung aufforderte, auch jene Personen als Ortskräfte zu betrachten, die etwa als Subunternehmer für die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gearbeitet haben. Die Aufnahme von Ortskräften sei kein Gnadenakt, sondern Pflicht. „Die Aufnahme muss sofort beginnen, denn jeder Tag des Wartens ist ein Tag in Lebensgefahr für die betroffenen Menschen“, betonte Geschäftsführer Günter Burkhardt.