München, Traunstein (epd). Gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. ist vor dem Landgericht Traunstein laut einer Recherche von Correctiv, der Wochenzeitung „Die Zeit“ und des Bayerischen Rundfunks (BR) Klage eingereicht worden. Demnach muss sich Benedikt XVI. womöglich vor einem weltlichen Gericht wegen des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche mitverantworten, teilte der BR am Mittwoch mit. Eine Gerichtssprecherin bestätigte den Eingang der Klage (Az: 1304/22).
Die Klage eines Missbrauchsopfers aus Bayern richtet sich gegen den Priester Peter H., der auch im Missbrauchsgutachten des Erzbistums München und Freising vom Januar 2022 eine zentrale Rolle spielt, sowie Kardinal Friedrich Wetter, die Erzdiözese an sich - vertreten durch den seit Januar 2020 amtierenden Generalvikar Christoph Klingan - und eben Benedikt XVI. In den 1990er-Jahren soll Peter H. in der Erzdiözese München mehrere Kinder und Jugendliche missbraucht haben, darunter auch den Kläger.
Die Kirchenleitung rund um den damaligen Münchner Erzbischof Kardinal Joseph Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI. hatte den pädophilen Priester 1980 im Erzbistum aufgenommen und dessen Umgang mit Jugendlichen nicht unterbunden - obwohl H. zuvor bereits in Essen durch mehrere sexuelle Übergriffe aufgefallen war. 1986 wurde H. von einem Gericht wegen Missbrauchs an mehreren Jugendlichen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, aber weiter als Priester eingesetzt.
Da die Missbrauchstaten strafrechtlich weitgehend verjährt sind, wendet der Berliner Rechtsanwalt des Opfers, Andreas Schulz, einen juristischen Kniff an: Er hat eine sogenannte Feststellungsklage eingereicht. So könne zwar keine strafrechtliche Verfolgung, womöglich aber eine Feststellung der Schuld der Kirche erreicht werden. Sein Mandant hoffe daher, dass ein Gericht feststelle, dass H. ihn missbraucht habe und deswegen „zum Ersatz des Schadens ihm gegenüber verpflichtet ist“.
Eine Sprecherin des Traunsteiner Landgerichts bestätigte dem Evangelischen Pressedienst (epd) den Eingang der Feststellungsklage. Anders als im Strafrecht werde nicht durch Gerichtsbeschluss über eine „Klageerhebung“ entschieden. Die zuständige Kammer werde nun prüfen, „ob die Prozesskosten durch den Kläger bezahlt wurden“ und anschließend die Klage den Beklagten zustellen. Dann startet das schriftliche Verfahren - ob überhaupt eine mündliche Verhandlung stattfindet, sei „völlig offen“.
Ob der emeritierte Papst für die Übergriffe belangt werden kann, ist laut der Berichterstattung von Correctiv, „Zeit“ und BR umstritten. Experten räumen der Klage Chancen ein, wenn die Kirche darauf verzichtet, sich auf die Verjährung zu berufen - wie bereits in innerkirchlichen Verfahren geschehen. Der frühere Münchner Erzbischof Kardinal Wetter kündigte an, keinen Antrag auf Verjährung stellen zu wollen. Das Erzbistum München und Freising wollte sich zu den Recherchen nicht offiziell äußern.
Die Münchner Kanzlei WSW hatte im Januar ein im Auftrag des Erzbistums München und Freising erstelltes Gutachten vorgestellt. Demnach gibt es in der Zeit zwischen 1945 und 2019 Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt im Erzbistum. Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. wird vorgeworfen, als Münchner Erzbischof in vier Fällen nicht genug gegen Missbrauchs-Täter vorgegangen zu sein.