Bielefeld (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, warnt eindringlich vor einem einfachen Schwarz-Weiß-Denken im aktuellen Streit um Krieg und Frieden. Christen müssten immer neu ausloten, „wie wir das Recht und die Würde von Menschen in Not verteidigen und uns zugleich für Frieden einsetzen können“, sagte sie am Montag vor der westfälischen Landessynode in Bielefeld.
Das führe in eine bisweilen unauflösbare Spannung, in der es oft kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“ gebe. Ein simples Ja oder Nein dürfe „die komplizierte Wirklichkeit nicht eindampfen und beschneiden“. Die Aporien und Dilemmata müssten vielmehr akribisch benannt werden, „wir dürfen sie nicht verwischen oder gar wegreden“.
Kurschus verwies auf das biblische Gebot der Feindesliebe: Der „verbrecherische Angriff auf die Ukraine“ sei unzweifelhaft der russischen Seite zuzuschreiben. „Trotzdem sind wir untröstlich über alle Verletzten, über jeden Toten, über jede verwitwete Mutter, über jedes verwaiste Kind auf beiden Seiten“, betonte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Ebenso werde „niemand zum Heiligen, weil er das eigene Leben, die eigene Freiheit und die seiner Lieben verteidigt“, sagte sie. „Und es wird auch niemand zum Teufel, der - verbohrt und verführt, machtverstrickt und verirrt, dumm und in Böses verliebt - über die Freiheit, das Recht und das Leben anderer herfällt.“ Er bleibe auch dann noch Mensch.
Androhung und Ausübung von Gewalt seien aus Sicht des christlichen Glaubens strikt an die Aufgabe gebunden, für Recht und Frieden zu sorgen, betonte die westfälische Präses unter Hinweis auf die Barmer Theologische Erklärung von 1934. „Dabei muss sich christlich gegründetes Handeln an Jesu Rede vom Reich Gottes und seiner Vision einer besseren Gerechtigkeit messen lassen.“ Dieser doppelte Maßstab sei „der Kompass, mit dem Christinnen und Christen Politik gestalten“, ohne dass politische Optionen direkt aus der Bibel abgeleitet oder zum Willen Gottes erklärt werden könnten.
Empört zeigte sich Kurschus erneut darüber, dass der russische-orthodoxe Patriarch Kyrill den russischen Angriffskrieg als gottgewolltes Mittel verteidige, das halte sie für Gotteslästerung. Deshalb dürften aber nicht die ökumenischen Brücken zur russischen Orthodoxie abgebrochen werden. Auf der anderen Seite sei auch Skepsis geboten, „wenn der Krieg in der Ukraine als Verteidigung westlicher Werte idealisiert wird“.
Wenn „in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit“ die Waffen schweigen, werde es darum gehen, den Frieden wiederzugewinnen, sagte die 59-jährige Theologin in ihrem traditionellen Bericht an das westfälische Kirchenparlament. Dann werde die zivile Friedensarbeit als unabdingbares Fundament benötigt. „Hier sind die Kirchen besonders stark, hier werden wir als Christinnen und Christen gebraucht“, betonte Kurschus.