Frankfurt a.M., Siegen (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hat an Pfingsten vor einem „rückwärtsgewandten Ungeist“ gewarnt, der „Autokraten erst groß macht“. Statt die Vergangenheit zu verklären, gelte es, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und den mühsamen Weg in die Freiheit zu gehen, sagte Kurschus am Montag in einem Gottesdienst in Siegen. Dies könne ein jahrzehntelanger Wüstenweg sein, wie bei der Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten.
Auch die Ukraine sei durch den russischen Überfall „auf dem Weg in eine noch längst nicht vollendete Freiheit“ getroffen worden, sagte Kurschus: „Die Ukraine war noch auf ihrer Wüstenwanderung - und weit entfernt vom Gelobten Land. Sie war gerüttelt von Bürgerkrieg, geschüttelt von Korruption und gebeutelt von Armut.“ Nicht wenige hätten „lieber zurück ins Sowjetreich“ gewollt. Deshalb sei der Satz „höchstens halb richtig“, in der Ukraine werde die Freiheit verteidigt: „Zuallererst verteidigen die Menschen in der Ukraine ihr eigenes, nacktes Leben.“
Die EKD-Ratsvorsitzende hatte in den vergangenen Wochen Waffenlieferungen befürwortet, um die Ukraine bei ihrem Überlebenskampf zu unterstützen. Zugleich betonte sie, dass mit Waffen kein echter Frieden gewonnen werden könne.
Papst Franziskus rief laut dem kirchlichen Nachrichtenportal „Vatican News“ am Sonntag beim Mittagsgebet auf dem römischen Petersplatz eindringlich zu Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine auf. Auf der Menschheit laste ein „Albtraum“, sagte er. „Bitte stürzen Sie die Menschheit nicht ins Verderben! Nehmen Sie echte Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine nachhaltige Lösung auf!“, appellierte das katholische Kirchenoberhaupt „an die Verantwortlichen der Nationen“.
Pfingsten ist nach Weihnachten und Ostern das dritte Hauptfest des Kirchenjahres. In Erinnerung an die Ausgießung des Heiligen Geistes wird Pfingsten auch als „Geburtstag der Kirche“ und Beginn der weltweiten Mission verstanden.
Der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagte mit Blick auf die russische Invasion der Ukraine: „Wir brauchen den Schutz des Heiligen Geistes für unsere Gemüter, die fassungslos sind gegenüber einem verbrecherischen Angriffskrieg, der unser in diesem Teil der Welt schon so lange währendes grundlegendes Sicherheitsgefühl ins Wanken gebracht hat.“ Die Menschen bräuchten die Hoffnungskraft des Heiligen Geistes, unterstrich er.
Pfingsten ist nach Überzeugung des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx unvereinbar mit Nationalismus, Hass, Ausgrenzung und Unterdrückung. Damit stehe Pfingsten im Widerspruch zu „engherzigem Partikularismus oder Konfessionalismus“, vielmehr gehe „der universale Blick auf alle Völker, alle Kulturen, auf die ganze Schöpfung“, sagte der Kardinal in seiner Predigt im Münchner Liebfrauendom.
Der Oldenburger Bischof Thomas Adomeit betonte die Kraft von Gemeinschaft. Dass Verantwortung und Macht in den Händen weniger oder einzelner Menschen sogar lebensgefährdend und gefährlich für das Miteinander auf unserer Welt sei, sei „gerade jetzt wieder deutlich erlebbar, wenn wir auf den russischen Präsidenten schauen, der mit seinem Vorgehen nicht nur den Krieg in der Ukraine zu verantworten hat, sondern auch seinem eigenen Volk vor den Augen der Welt großen Schaden zufügt“, sagte der evangelische Theologe am Montag in der Oldenburger St.-Lamberti-Kirche.
Der Lippische Landessuperintendent Dietmar Arends verurteilte die Unterstützung der Russisch-Orthodoxen Kirche für den Angriffskrieg in der Ukraine scharf. In Kirchen und Gemeinden gebe es Spannungen, die ausgehalten werden müssten, sagte Arends am Sonntag. Es gebe jedoch Dinge, die in einer christlichen Gemeinde keinen Platz hätten. Etwa wenn die Führung einer Kirche - wie aktuell die der Russisch-Orthodoxen Kirche - einen grausamen Angriffskrieg rechtfertige. „Eine solche Haltung steht im tiefen Widerspruch zum Evangelium“, sagte der oberste Repräsentant der Lippischen Landeskirche.