Karlsruhe (epd). Eltern mit zwei oder mehr Kindern müssen bei ihren Beiträgen für die soziale Pflegeversicherung mehr entlastet werden. Die Beitragsregelungen führen bei Eltern mit steigender Kinderzahl zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung gegenüber Eltern mit weniger Kindern, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. (AZ: 1 BvL 3/18 und weitere) Bis Ende Juli 2023 muss der Gesetzgeber mit verfassungsgemäßen Regelungen nachbessern.
Der Beitragssatz für gesetzlich Versicherte in der Pflegeversicherung liegt seit 2019 bei 3,05 Prozent. Kinderlose ab dem 23. Lebensjahr müssen einen Zuschlag von 0,35 Prozent zahlen (bis Ende 2021 0,25 Prozent). Der Gesetzgeber begründet das mit dem Erziehungsmehraufwand bei Eltern, so dass Kinderlose einen höheren Beitrag leisten müssen. In der privaten Pflegeversicherung gibt es vergleichbare Regelungen.
Die aus Baden-Württemberg stammenden Beschwerdeführer hatten gerügt, dass ihre Erziehungsleistung nicht mit niedrigeren Sozialbeiträgen in der Pflege-, Renten- und Krankenversicherung honoriert werden. Dabei würden ihre Kinder das Sozialversicherungssystem mit ihren künftigen Beiträgen stützen. Je mehr Kinder Eltern hätten, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Familien auf Sozialhilfeniveau landeten, lautete die Begründung.
Sie verwiesen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001 zur Pflegeversicherung. Das Gericht hatte damals dem Gesetzgeber aufgegeben, dass Erziehungsleistungen mehr berücksichtigt werden müssen. Das müsse aber auch für die Renten- und Krankenversicherung gelten, meinten nun die kinderreichen Eltern.
Ihre Verfassungsbeschwerde hatte jetzt teilweise Erfolg, denn nur in der Pflegeversicherung werde bei Eltern mit steigender Kinderzahl das „Gebot der Belastungsgleichheit“ verletzt. Eltern mit mehr Kindern würden bei ihren Beiträgen genauso gestellt wie Eltern mit weniger Kindern, obwohl die finanzielle Belastung mit jedem Kind steige und ohne dass in der Pflegekasse ein angemessener Ausgleich vorgesehen sei. „Diese Benachteiligung tritt bereits ab einschließlich dem zweiten Kind ein“, heißt es in dem Beschluss des Gerichts. Wie der Gesetzgeber den Nachteil in der sozialen Pflegeversicherung für Eltern mit mehr Kindern ausgleicht, stehe ihm jedoch weitgehend frei. So könne er „steuerfinanzierte Bundeszuschüsse oder auch sonstige beitrags- und leistungsseitige Instrumente“ vorsehen.
Die Beitragsregelungen in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung für Eltern mit steigender Kinderzahl seien dagegen verfassungsgemäß, entschieden die Karlsruher Richter. Das gleiche gelte für gesetzliche Krankenversicherung.
Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes begrüßte die Entscheidung, sagte aber: „Zur Wahrheit gehört auch: Im Dschungel der Familienleistungen und Entlastungen für Familien wird mit großem Instrumentenkasten an kleinen Stellschrauben gedreht“, so Hilfers. Er forderte daher die Einführung einer existenzsichernden Kindergrundsicherung, um das Armutsrisiko von Familien zu verringern.
Die Entscheidung sei „vor dem Hintergrund des Urteils von 2001 nur logisch und war daher erwartbar“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Damals hatte des höchste Gericht grundsätzlich die Berücksichtigung von Kindern bei der Beitragsbemessung zur Pflegeversicherung angemahnt.“