Hier können Sie die neue Folge "Was mich bewegt" zum Thema "Angst" hören.
Im Gespräch mit Tobias Glawion, dem Chefredakteur des Evangelischen Medienhauses Stuttgart, erklärt die frühere Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende etwa zur Angst in Teilen der Bevölkerung vor Zuwanderung oder davor, dass der Staat durch Geflüchtete überfordert werde: "Wir sehen ja jetzt 2022, dass auch viele Menschen bereit sind, für Geflüchtete aus der Ukraine da zu sein. Da macht mich allerdings ein bisschen zornig, dass wir selektiv sind. Die einen sind 'die guten Flüchtlinge' – Frauen und Kinder aus der Ukraine – die nehmen wir gerne auf. Aber an der Grenze Belarus-Polen sind immer noch Geflüchtete, schon den ganzen Winter über, aus Afghanistan, aus dem Irak, die wollen wir nicht haben. Also wir sind schon sehr selektiv in unserer Angst."
Angst kann nach Käßmanns Ansicht "auch ein guter Faktor sein. Aber Überängstlichkeit ¬[kann auch sehr einschränken] – das haben wir jetzt auch gesehen in der Corona-Zeit. Da gab’s dann Menschen, die gar nicht mehr aus dem Haus gegangen sind, die Leute nur noch mit sieben Meter Abstand sehen wollten, die sich 50 Mal am Tag die Hände gewaschen haben, alles desinfiziert haben." Man müsse die richtige Balance finden zwischen "der Angst als guter Ratgeber, nicht in Situationen zu geraten, in denen du dich selbst gefährdest, und auf der anderen Seite aber die Angst auch nicht so übermächtig werden zu lassen, dass du die Freiheit in deinem Leben verlierst".
Das Wichtigste bei der Angst ist für Käßmann, "dass du sie aussprechen kannst. Wenn die Angst tabuisiert wird, dann wird sie immer größer. […] Ich finde es gut, wenn wir auch sagen, wovor wir Angst haben oder dass ich Angst habe. […] Männer haben es da noch schwerer. Frauen dürfen schon sagen, sie haben Angst." Wenn Menschen Ängste und Sorgen hätten, müsse man zuerst mal zuhören: "Dass jemand ohne Scham über die eigene Angst sprechen kann, die eigenen Belastungen - das finde ich wichtig. Und dafür haben wir oft nicht genügend Räume. Ich denke, heute wird oft so darüber weggegangen: Stell dich nicht so an!"
Käßmann verweist auf das Johannesevangelium - dort "steht ja dieser Satz von Jesus: 'In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.' Und das ist auch kein einfaches Vertrösten, sondern eine Anerkennung: In der Welt gibt es Angst'." Es gebe auch ein Maß von dem, "was ich aushalte und was meine Seele verkraften kann". "Wir dürfen uns auch nicht dieser ständigen medialen Beschallung mit Angstszenarien aussetzen. Dann verlieren wir auch das Gefüge, in dem wir selbst leben, den eigenen Boden unter den Füßen."
evangelisch.de dankt dem Evangelischen Medienhaus in Stuttgart für die Kooperation.