Berlin (epd). Angesichts der steigenden Lebensmittelpreise ist eine Debatte über gezielte Steuersenkungen entbrannt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) forderte die Bundesregierung auf, den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent zeitweise ganz abzuschaffen. Dadurch würden vor allem Lebensmittel und andere Dinge der Grundversorgung günstiger, und den Menschen werde schnell und unbürokratisch geholfen, sagte Präsident Marcel Fratzscher der „Augsburger Allgemeinen“ am Donnerstag in Berlin. Menschen mit geringen Einkommen gäben einen größeren Teil ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel aus als Menschen mit hohen Einkommen.
Fratzscher fügte hinzu, dass die Senkung der Mehrwertsteuer effektiver sei als der Tank-Zuschuss, den die Ampel-Fraktionen planten: „Die Spritpreisbremse der Bundesregierung ist hingegen schädlich und kontraproduktiv, da sie den Energieverbrauch erhöht und der größte Teil des Geldes den Besserverdienenden und Mineralölkonzernen zugutekommt.“
Der Paritätische Gesamtverband äußerte sich hingegen skeptisch gegenüber einer Senkung der Mehrwertsteuer etwa auf Grundnahrungsmittel. „Von dieser Maßnahme würden am meisten die profitieren, die viel oder besonders luxuriös konsumieren“, teilte der Wohlfahrtsverband am Donnerstag auf epd-Anfrage in Berlin mit. Verbraucher, die aufgrund der Preissteigerungen besonders auf Hilfe angewiesen seien, brächte eine Mehrwertsteuer-Abschaffung kaum spürbare Entlastung.
Der Paritätische rechnet damit, dass die Abschaffung der Steuer auf Lebensmittel bei Grundsicherungsempfängern zu höchstens 10,50 Euro pro Monat an Ersparnis führen würde. „Das gleicht die Kaufkraftverluste durch die Inflation nicht aus“, kritisierte der Paritätische.
Statt einer „Gießkannenpolitik unabhängig von der konkreten Bedürftigkeit“ der Menschen forderte der Paritätische zielgerichtete Hilfen für Menschen in Armut. Dazu gehörten etwa die Anhebung der monatlichen Regelsätze um mindestens 50 Prozent sowie eine Reform des Wohngeldes.
Angesichts der steigenden Verbraucherpreise hatten mehrere Verbände eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wie Obst und Gemüse gefordert. Zu den Verbänden gehören der Sozialverband VdK, der Verbraucherzentrale Bundesverband sowie die Deutsche Diabetes-Gesellschaft. Eine Änderung der EU-Mehrwertsteuer-Vorschriften, die Anfang April in Kraft getreten ist, erlaubt es den EU-Mitgliedsstaaten erstmals, bestimmte Gegenstände und Dienstleistungen ganz von der Mehrwertsteuer zu befreien.