Bundestag lehnt Corona-Impfpflicht ab 60 Jahren ab

Bundestag lehnt Corona-Impfpflicht ab 60 Jahren ab
Nach monatelangem Ringen und einer heftigen Abschlussdebatte im Bundestag ist eine Corona-Impfpflicht klar gescheitert. Die Befürworter aus der Ampel-Koalition konnten sich auch mit einer abgespeckten Impfpflicht ab 60 Jahren nicht durchsetzen.

Berlin (epd). Die Abstimmung fiel deutlich aus: Bei der Corona-Impfpflicht bleibt in Deutschland alles, wie es ist. Die Einführung einer Impfverpflichtung für über 60-Jährige ist im Bundestag gescheitert. Nach einer engagiert geführten Debatte stimmten am Donnerstag in Berlin in einer namentlichen Abstimmung 378 Abgeordnete gegen den Kompromiss-Antrag aus den Reihen der Ampel-Fraktion. 296 Abgeordnete votierten mit Ja, neun Parlamentarier enthielten sich. Da auch der Unions-Antrag für ein Impfvorsorgegesetz anschließend keine Mehrheit fand, wird es absehbar keine Ausweitung der Corona-Impfpflicht in Deutschland geben.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte kurz nach der Abstimmung auf Twitter, damit sei der einzige Gesetzentwurf gescheitert, der eine allgemeine Impfpflicht gebracht hätte. Jetzt werde die Bekämpfung von Corona im Herbst viel schwerer. In der Debatte hatten Lauterbach und Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP noch einmal eindringlich um Zustimmung geworben. Lauterbach, der eigentlich ebenso wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine Impfpflicht ab 18 Jahren eintritt, den Ampel-Kompromiss für eine Impfpflicht ab 60 aber unterstützt hatte, wandte sich an die Unionsabgeordneten: „Heute ist der Tag der Entscheidung“, sagte er, „lassen Sie uns nicht im Stich“.

Der Kompromiss, auf den sich die beiden Abgeordneten-Gruppen aus den Ampel-Fraktionen Anfang dieser Woche verständigt hatten, sah eine Impfpflicht für über 60-Jährige vor. Alle ungeimpften Erwachsenen sollten zu einer Impfberatung verpflichtet werden.

Spitzenpolitiker der Union hatten vor der Entscheidung erklärt, dass sie auch den Kompromiss-Vorschlag nicht mittragen würden, obwohl er die Einführung eines Impfregisters enthielt, wie es die Union will. Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge bekräftigte in der Debatte, am eigenen Antrag der Union festhalten zu wollen. Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Sepp Müller (CDU) betonte, über eine Impfpflicht und für wen sie gelten solle, dürfe erst entschieden werden, wenn eine gefährlichere Variante des Coronavirus und die Pandemielage dies erforderten.

FDP-Politiker Andrew Ullmann, der zunächst nur eine Impfberatungspflicht wollte, aber mit seiner Gruppe dem Kompromiss für eine Impfpflicht ab 60 zustimmte, hatte in seiner Rede davor gewarnt, am Ende „ohne etwas“ dazustehen. Doch eine Mehrheit der Abgeordneten war nicht zu überzeugen in einer Phase der Pandemie, in der selbst das Tragen von Masken nicht mehr generell vorgeschrieben ist.

Anders als Ullmann hatte sich der größere Teil der FDP-Abgeordneten von Anfang an gegen eine Impfpflicht ausgesprochen und sich um den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki gesammelt, weshalb die Ampel-Fraktionen keine eigene Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht hatte. Auch die Aufhebung des Fraktionszwangs führte nicht dazu, dass die Befürworter genügend Stimmen aus der Opposition gewinnen konnten.

Wie verfahren die Lage trotz monatelanger Kompromisssuche war, zeigte sich im Bundestag auch daran, dass sich Regierungsfraktionen und die Opposition nicht einmal auf die Reihenfolge zur Abstimmung über die vier Anträge einigen konnten. Nacheinander scheiterten dann der Antrag für eine Impfpflicht ab 60, der Unionsantrag, die Kubicki-Gruppe und die AfD-Fraktion mit ihrem Vorstoß, die seit Mitte März geltende Impfpflicht für das Personal in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen wieder abzuschaffen.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sprach nach dem Scheitern einer Impfpflicht von einem „Politikversagen“, für das alle Menschen bezahlten, die auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen seien. Der Vorsitzende der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, stellte die Impfpflicht im Gesundheitswesen in Frage. Ohne eine allgemeine Impfpflicht halte er Arbeitsverbote nicht mehr für vorstellbar, sagte er der „Rheinischen Post“.