Stuttgart (epd). Der Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker hat sich dafür ausgesprochen, weiterhin am Begriff „Islamismus“ festzuhalten. Auch wenn dieser von manchen Muslimen kritisiert werde, weil in ihm der Begriff „Islam“ stecke, sei es das Vernünftigste, diesen Begriff zu verwenden, sagte der emeritierte Professor für Islamwissenschaft an der Universität Jena am Montag bei der Online-Tagung „Islamismus in Deutschland - Quo Vadis?“ der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Bei dem Begriff „Politischer Islam“ bestehe noch mehr die Gefahr, dass dieser mit dem Islam als Religion gleichgesetzt werde. Der Begriff „Islamischer Fundamentalismus“ sei noch schwieriger als die beiden anderen Begriffe zu erklären, sagte Seidensticker, der ein Standardwerk zum Islamismus geschrieben hat.
Man müsse immer wieder betonen, dass von den fünf Millionen Muslimen in Deutschland höchstens fünf Prozent zu islamistischen Organisationen gehörten. „Das heißt mehr als 95 Prozent der Muslime sind keine Islamisten“, sagte Seidensticker.
Der Leiter der Abteilung für islamistischen Extremismus und Terrorismus am baden-württembergischen Amt für Verfassungsschutz, Benno Köpfer, sagte, der Verfassungsschutz gehe noch defensiver von einer Zahl von knapp 30.000 Islamisten deutschlandweit aus. Derzeitige Trends seien in der islamistischen Szene eine zunehmende Zersplitterung und eine wachsende Bedeutung von jugendlichen Akteuren sowie von Frauen. Bei Gewalttaten gebe es häufig Einzelakteure mit psychischen Belastungen, die zur Tat schreiten.
Das Internet werde weiterhin von Islamisten stark genutzt, so gebe es beispielsweise rund 160.000 salafistische Internetaccounts. Bilder auf Instagram und anderen Internet-Kanälen und klare Feindbilder sowie Opfernarrative prägten den Diskurs und seien sehr wirkmächtig.
Die am Dienstag zu Ende gehende Tagung findet in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (Konex), dem Landeskriminalamt und dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg statt.