Köln (epd). Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten, hofft aber zugleich auf die „Chance für einen Neuanfang“ im größten deutschen Bistum. Der Evangelische Pressedienst (epd) dokumentiert Auszüge des Hirtenbriefs zum Aschermittwoch, den der 65-jährige Kardinal am Tag seiner Rückkehr aus einer knapp fünfmonatigen „geistlichen Auszeit“ veröffentlichen ließ:
"Es tut mir leid, dass diese Zeit für viele Menschen in unserer Kirche eine so belastete Zeit ist. Und ich weiß und es schmerzt mich, dass auch ich für diese Situation Verantwortung trage. (...) Natürlich nehme ich wahr, dass die Situation seit Oktober letzten Jahres nicht einfacher geworden ist. Eine Auszeit an sich löst ja keine Probleme. (...) Gleichwohl sind Auszeiten Chancen. (...) So kehre auch ich nicht unverändert einfach so zurück, als sei in dieser Zeit nichts geschehen. Tatsächlich war für mich im Oktober letzten Jahres ein Maß an körperlicher und mentaler Erschöpfung erreicht, das eine Auszeit notwendig machte. (...)
Dabei ist in mir manches in Bewegung gekommen, was sich in der immer angespannteren kirchlichen Situation und zunehmenden, oft sehr persönlichen Anfeindungen meiner Person in unguter Weise in mir verhärtet hatte. Das betrifft Zusammenhänge von Beteiligung und Leitung, Möglichkeiten der pastoralen Entwicklung sowie notwendige Reformen in der Kirche bis hin zu systemischen Veränderungen, welche die Realitäten von sexuellem, geistlichem und strukturellem Missbrauch auch mir aufgeben. Richtungsweisend war und ist mir dabei die Perspektive der von Missbrauch Betroffenen, das, was sie erlebt und erlitten haben, als Kompass für mein Nachdenken und Handeln - und auch für das Arbeiten an mir selbst. (...)
Besonders bedeutsam wurde mir ein Impuls, (...) wirklich alles auf Gott hin frei zu geben. Als Ausdruck dieser Haltung innerer Freiheit habe ich dem Heiligen Vater meinen Dienst und mein Amt als Erzbischof von Köln zur Verfügung gestellt, so dass auch er frei ist, zu entscheiden, was dem Wohl der Kirche von Köln am meisten dient. Persönlich werde ich mich weiterhin mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften dafür einsetzen, dass der barmherzige Herr uns die Chance für einen Neuanfang schenken möge, auf neuen Wegen und in einem neuen Geist. Hierzu bitte ich Sie um Ihre Offenheit, Ihre Geduld, darum, dass Sie mir, nein, uns noch eine Chance geben. (...)
Ja, ich weiß um den Missbrauch in seinen verschiedenen Dimensionen. Ich weiß um den ungenügenden Umgang damit, um Fehlverhalten von Verantwortlichen insgesamt und um Irritationen in der Kirche in Deutschland und der Weltkirche - bis hin zu einer reformbedürftigen Kommunikation und Verkündigung des Glaubens, die heute zu oft am Leben der Menschen vorbeigeht. Ich weiß, dass diese Zusammenhänge zum Kern dessen gehören, was aktuell viele Menschen in der Kirche bewegt und belastet, verzweifelt macht. (...)
Dafür möchte ich in den kommenden Wochen und Monaten die Begegnung mit möglichst vielen von Ihnen suchen, um voneinander zu hören, was uns zu schaffen macht - und auch, woraus wir leben. Ich wünsche mir sehr und hoffe darauf, dass Sie mir auf den Wegen, die dafür notwendig sind, entgegenkommen. Dass dies offen, angstfrei und ehrlich geschehen kann, dafür möchte ich alles mir Mögliche tun. Vielleicht wird dies nicht immer direkt gelingen. So möchte ich Sie um Ihre Hilfe und Ihre Unterstützung bitten. (...)
Ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, am liebsten nur noch nach vorn und nicht mehr zurück zu schauen. Vielmehr liegt mir daran, miteinander Räume zu betreten und zu gestalten, in denen wir uns ehrlich begegnen, einander zuhören und in denen wir gemeinsam die Möglichkeiten ausloten, wie es in unserem Erzbistum 'gut' weitergehen kann. (...)
So wird es für mich ein eher stiller Beginn sein. Ich habe viel nachzuholen. In den vergangenen viereinhalb Monaten ist das kirchliche Leben hier vor Ort ja intensiv weitergegangen. Das möchte und muss ich erst einmal 'aufholen'. Dazu gehört vor allem, Ihnen zuzuhören: Ihrer Enttäuschung, Ihrem Ärger, Ihren Vorwürfen genauso wie Ihren Erwartungen, Wünschen, Ihrem Zuspruch und Ihren guten Ideen. Ich bitte Sie, geben Sie dem, geben Sie mir, Gelegenheit dazu."