"Die Politik der westlichen Staaten hat ihren vielfältigen Anteil an der kriegsschwangeren Lage in der ganzen Welt", sagte der langjährige Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum dem Evangelischen Pressedienst (epd). Jahrzehntelang sei vor allem durch die USA eine Dominanz des Westens angestrebt worden, kritisierte der 90-jährige Wissenschaftler. Solange "nationale Machtstaaten" die Weltpolitik bestimmen wollten, nähmen jedoch die Konflikte zwischen den Konkurrenten zu.
Brakelmann warb für eine eigenständige europäische Politik, zu der "ganz zentral die Entwicklung eines konstruktiv-kritischen Verhältnisses zu Russland" gehören müsse. "Um mit Russland eine gute Nachbarschaft zu haben, müssen Verträge mit ihm geschlossen werden, die beiden Seiten Vorteile bringen", betonte der evangelische Theologe. Deutschland habe eine verstärkte ökonomische, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit anzubieten. "Eine solche Partnerschaft kann den Weg zu mehr Völkerfreundschaft bringen", erwartet der Sozialforscher. Einzelkonflikte seien lösbar, wenn politische Partnerschaft den Gesamtrahmen bilde.
Besorgt äußerte sich das langjährige SPD-Mitglied darüber, dass sich im Ukraine-Konflikt beide Seiten trotz aller Friedensrhetorik auf einen Krieg vorbereiteten: "Es wimmelt von Friedensschwüren, während alles getan wird, die eigene militärische Schlagkraft zu vergrößern." Ein einmal begonnener konventioneller Krieg zwischen Atommächten drohe jedoch "in einen atomaren Schlagabtausch überzugehen, wenn einer der Kriegsgegner auf die Verliererstraße gerät", warnte Brakelmann.
Kritisch äußerte sich der Historiker auch zu Drohungen mit Wirtschaftssanktionen. Solche Maßnahmen könnten den betroffenen Staaten zwar Schwierigkeiten machen, führten aber nicht zum Zusammenbruch ihrer Wirtschaft. Dagegen könnten Wirtschaftskriege, wenn sie an die Substanz von Staaten gehen, schnell zu militärischen Abwehraktionen führen. "Geschichtlich hat das System von ökonomischen Sanktionen bisher keinen konstruktiven Beitrag zu mehr Frieden zwischen den rivalisierenden Machtstaaten geführt", betonte Brakelmann.