Berlin (epd). Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, fordert vom Staat ein stärkeres Engagement bei der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Er veröffentlichte am Mittwoch in Berlin ein Positionspapier, demzufolge der bestehenden unabhängigen Aufarbeitungskommission dabei eine zentrale Rolle zukommen soll. Rörig forderte die Bundesregierung und den Bundestag auf, bis zum Sommer einen ersten Gesetzentwurf zu erarbeiten und spätestens im kommenden Jahr zu Beschlüssen zu kommen.
Gegenwärtig gebe es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass sich der Staat bei der Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in den Kirchen und in anderen Institutionen stärker engagieren möge, erklärte Rörig. Seit der Veröffentlichung der Missbrauchsgutachten in den Erzbistümern Köln sowie München und Freising sei die Debatte darüber voll entbrannt. Unter anderem sei eine staatliche „Wahrheitskommission“ im Gespräch.
Rörig setzt in seinem Papier auf die Stärkung der 2016 berufenen Aufarbeitungskommission, die bei seinem Amt angesiedelt ist. Sie müsse auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden, um zwei Aufgaben erfüllen zu können. Sie soll nach Rörigs Willen zu einer „zentralen staatlichen Kontroll- und Monitoringstelle“ entwickelt werden. In dieser Funktion soll sie die Arbeit regionaler Kommissionen kritisch begleiten und sicherstellen, dass Standards für eine unabhängige Aufarbeitung eingehalten werden - wie Rörig sie mit der katholischen Kirche vereinbart hat. Eine entsprechende Selbstverpflichtung der evangelischen Kirche steht noch aus. Außerdem soll die Aufarbeitungskommission selbst konkrete Befugnisse zur Akteneinsicht sowie zur Einladung von Zeuginnen und Zeugen erhalten und regelmäßig auf Bundesebene über ihre Ergebnisse berichten und Empfehlungen aussprechen können.
Rörig schlägt dazu „ein fraktions- und ressortübergreifendes politisches Begleitgremium“ vor. Der Staat trage die Verantwortung dafür, Kinder und Jugendliche zu schützen, habe dieses Wächteramt aber oft nicht ausgeübt, kritisiert er in dem Papier. Deshalb sei er verpflichtet, jetzt endlich mehr zu tun, wie es Betroffene seit Jahren forderten: „Betroffene sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend haben ein Recht auf staatlich unterstützte Aufarbeitung“, erklärte Rörig. Schließlich fordert der Beauftragte, der nach rund zehn Jahren seinen Posten aufgeben will, sobald eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden ist, die dauerhafte, gesetzliche Verankerung seines eigenen Amtes.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs wurde im Januar 2016 von Rörig auf Grundlage eines Bundestagsbeschlusses berufen. Ihre Laufzeit ist bisher bis Ende 2023 befristet. Die Kommission untersucht sämtliche Formen von sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland. Der oder die Missbrauchsbeauftragte ist ohne Befristung von der Bundesregierung eingesetzt, es fehlt aber ein Gesetz, das Aufgaben und Ausstattung des Amtes regelt. Die Koalition von SPD, Grünen und FDP hat die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die unabhängige Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Aussicht gestellt.