Frankfurt a.M. (epd). Der emeritierte Papst Benedikt XVI. steht nach der Veröffentlichung eines juristischen Missbrauchsgutachtens für das katholische Erzbistum München und Freising weiterhin im Fokus der Kritik. Der katholische Theologe und vatikanische Kinderschutz-Experte, Hans Zollner, hofft auf eine Entschuldigung Benedikts, der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München war, wie er am Wochenende sagte. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, äußerte sich erstmals zu den Ergebnissen des Gutachtens. „Ich verstehe alle, die mit der Kirche und uns Verantwortlichen hadern, und wenn ich mir die Fakten aus München vergegenwärtige, dann schäme ich mich für diese Kirche“, sagte der Bischof von Limburg laut Mitteilung von Samstag.
Die unabhängigen Gutachter der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl haben Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt und 235 Täter zwischen 1945 und 2019 gefunden. Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. wiesen die Gutachter in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising Verfehlungen in vier Fällen nach. Sie werfen ihm vor, Priester, von denen Missbrauchstaten bekannt waren, im Gemeindedienst belassen zu haben. Der 94-Jährige bestreitet die Vorwürfe in einer dem Gutachten beigefügten 82-seitigen Stellungnahme. Sein Privatsekretär Bischof Georg Gänswein hatte vergangene Woche mitgeteilt, Benedikt werde das Gutachten in den kommenden Tagen lesen. Das Erzbistum München und Freising hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben.
Zollner sagte dem Bayerischen Rundfunk, wenn es so sei, wie es die Anwaltskanzlei mit diesem Grad von Wahrscheinlichkeit formuliert habe, hoffe er, dass sich Benedikt dann auch entschuldige. Das sei auch im Sinne derer, die das Lebenswerk Benedikts nicht durch so eine Äußerung gefährdet sehen wollten. Der „Welt am Sonntag“ sagte er, die Übernahme persönlicher Verantwortung sei offensichtlich sehr schwer. „Das hat mit der Überidentifizierung mit der Institution und mit einem einseitigen Kirchenbild zu tun: als ob alles nach außen hin makellos sein müsste.“ Der gebürtige Regensburger Zollner ist unter anderem Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen. Er leitet das „Safeguarding Institut“ an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.
Der Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Samstag), offenbar wolle Benedikt nicht wissen, was in seiner eigenen Kirche passiert sei. Die Ignoranz wiege umso schwerer, weil Benedikt als Präfekt der Glaubenskongregation ab 1982 zwei Jahrzehnte lang für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegenüber Minderjährigen für die Weltkirche zuständig gewesen sei, sagte er. Wenn er jetzt für sich neu definiere, was überhaupt sexueller Missbrauch von Klerikern bedeute, „dann lässt das sehr tief auf den mangelnden Aufarbeitungswillen der Kirche blicken“.
Der Kirchenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, will bessere Voraussetzungen für eine staatliche Aufarbeitung schaffen. Die unabhängige Aufarbeitungskommission beim Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs solle aufgewertet und besser finanziert werden, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Sonntag). Die Politik sei stärker gefordert, um „das Thema weiter aus der Tabuzone herauszuholen und alles Menschenmögliche dafür zu tun, Taten zu verhindern“.