Berlin (epd). Der Kirchen- und Staatsrechtler Hans Michael Heinig rät den Kirchen dazu, das Thema Ablösung von Staatsleistungen von sich aus „auf der Agenda“ zu halten. „Die Zeiten für eine finanziell zufriedenstellende Ablösevereinbarung werden bestimmt nicht besser“, sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview dem Magazin „Zeitzeichen“ (Online). Heinig begrüßte, dass sich das Thema Ablösung der Staatsleistungen im Koalitionsvertrag findet.
Die Ablösung von Staatsleistung sei ein Verfassungsauftrag, der seit mehr als 100 Jahren nicht erfüllt sei, sagte Heinig: „Und das ist ein Skandal, denn man hat sich in einer Praxis eingerichtet, die mitnichten dem verfassungsrechtlichen Soll-Zustand entspricht.“ Wenn die Kirchen das noch länger so weiterlaufen ließen, könne die Entschädigung über die Zeit geringer ausfallen. „Klüger wäre es, das Thema jetzt anzugehen, solange die Kirchen noch über eine gewisse Sozialmächtigkeit verfügen und im politischen Umfeld noch ein gewisses Wohlwollen genießen“, erklärte er.
In der Verfassung sei von Entschädigung die Rede, „aber was das genau meint, ist nicht klar, sondern durch Interpretation zu bestimmen“, fügte Heinig hinzu. Nach einem Gesetzentwurf von 2020 sollten die Kirche mit dem Faktor 18,6 entschädigt werden. „Das heißt: Wenn die Staatsleistungen aufhören, stünde ihnen einmalig der 18,6-fache Betrag einer Jahreszahlung zu“, sagte Heinig. Er stellte die These auf, dass in zehn Jahren etlichen in der Politik auch der Faktor zehn reichen würde: „Insofern gilt es für die Kirchen, am Ball zu bleiben.“
Staatsleistungen erhalten die Kirchen als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Güter und Grundstücke im Zuge der Säkularisierung vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie sind von der Kirchensteuer zu unterscheiden und betragen aktuell rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr an evangelische und katholische Kirche. Der Auftrag, diese regelmäßigen Zahlungen abzulösen, wurde von der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommen, bislang aber nicht umgesetzt.