Berlin (epd). Der Ethiker und Theologe Peter Dabrock fordert eine Impfpflicht und mutigere Entscheidungen der Politiker in der Corona-Pandemie. Das Standardargument, die Impfung sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, greife heute nicht mehr, sagte Dabrock dem „Tagesspiegel“ (Donnerstag). Wenn heute festgestellt werde, dass während eines exponentiellen Wachstums der Infektionen schnell und nachhaltig gehandelt werden müsse, sei die Frage der Impfpflicht „schlicht neu zu beantworten als in ruhigeren Zeiten“.
„Einerseits sind schwere Nebenwirkungen extrem selten, andererseits wissen wir auch, dass Nicht-Geimpfte das Recht auf Unversehrtheit von Millionen anderen massiv gefährden“, sagte der Professor für Systematische Theologie, der von 2016 bis 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrates war.
Der deutschen Politik wirft Dabrock vor, in der Pandemie fast immer viel zu langsam und nahezu nie proaktiv zu agieren, weil man niemandem etwas zumuten wolle. Dabei seien die Menschen meist schon viel weiter. „Solch spätes Handeln geht meistens auf Kosten der schweigenden Mehrheit, weil man der lauten Minderheit gefallen will“, kritisierte der 57-Jährige.
Er habe Angst, dass aus der Wut der Impfgegner bald eine noch viele stärkere Wut der geimpften Mehrheit werde, sagte Dabrock. Er nehme angesichts der Entscheidungsunfreudigkeit der Politik eine ganz große Politikmüdigkeit und -verdrossenheit der gesellschaftstragenden Schicht der schweigenden Mitte wahr. „Dieser dramatische Vertrauensverlust bereitet mir zigmal mehr Sorgen als die bellende kleine Minderheit“, sagte der Theologe.