Berlin (epd). Der Fall des jüdischen Musikers Gil Ofarim macht nach Einschätzung der Vorsitzenden der Berliner Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, die verbreitete Präsenz des klassischen Antisemitismus in Deutschland deutlich. Egal, ob Ofarim den Vorfall erfunden habe oder nicht, die Reaktionen darauf seien „haarsträubend antisemitisch“ gewesen, sagte sie am Montag in Berlin. Es seien klassische antisemitische Klischees bedient worden. Als Beispiel nannte sie Aussagen über den angeblich bösen Charakter des Talmud, einer der bedeutendsten Schriften im Judentum.
Ofarim hatte Anfang Oktober Mitarbeiter eines Leipziger Hotels über einen Clip in sozialen Medien beschuldigt, ihn wegen seiner Kette mit Davidstern-Anhänger antisemitisch beleidigt zu haben. Der Fall ging viral. Die Ergebnisse eines Untersuchungsberichtes, den das Hotel in Auftrag gegeben hat, bestätigten Ofarims Aussagen indes nicht. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an.
Kahane äußerte sich betrübt darüber, dass häufig Leute, die von Antisemitismus betroffen seien, dafür angefeindet würden. „Was sollen sie denn tun, die Klappe halten?“, fragte sie und riet allen Betroffenen, die Vorfälle bei den dafür eingerichteten Meldestellen gegebenenfalls auch anonym zu melden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, wollte sich zunächst nicht konkret zum Fall Ofarim äußern und verwies darauf, dass jetzt der Rechtsstaat agieren müsse und dies auch tue.
Von der neuen Bundesregierung forderte er indes, dass das sogenannte Wehrhafte-Demokratie-Gesetz, das schon „in der Schublade“ liege und eine verlässliche Förderung von Anti-Extremismus-Initiativen sowie den Bildungsträgern sicherstellen soll, als erstes in Angriff genommen werde. „Die Lage der Jüdinnen und Juden ist ein Gradmesser dafür, wie es um unsere Gesellschaft bestellt ist. Wenn es ihnen schlechter geht, ist das ein Zeichen dafür, dass das gesellschaftliche Klima Schaden nimmt.“