Bremen (epd). Die evangelische Kirche berät bei ihrer Jahrestagung erneut über den Umgang mit Missbrauch in den eigenen Reihen. Am Sonntag zog der scheidende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, vor der digital tagenden Synode eine selbstkritische Bilanz der bisherigen Bemühungen. „Wir sind noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten“, sagte der bayerische Landesbischof in Bremen. Die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, sagte, es sei eine „entscheidende Zukunftsaufgabe, dass Menschen vor sexualisierter Gewalt geschützt werden“. Dazu gehöre auch eine ehrliche und transparente Aufarbeitung der Vergangenheit.
Die evangelische Kirche hatte 2018 einen Maßnahmenplan zur Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt verabschiedet, der unter anderem eine Beteiligung Betroffener vorsieht. Im Frühjahr wurde der zwischenzeitlich gegründete Betroffenenbeirat der EKD nach Auseinandersetzungen bereits wieder ausgesetzt. Die Gründe für das Scheitern sollen nun in einer externen Expertise untersucht werden, hieß es am Sonntag.
Parallel zum Eröffnungsgottesdienst, mit dem am Sonntag die Synode begann, hatten Betroffene von Missbrauch in der evangelischen Kirche zu einer Online-Pressekonferenz eingeladen. Sie kritisierten den Stand der Aufarbeitung. Für Betroffene habe sich in den vergangenen Jahren nichts oder nur wenig geändert, sagte Katharina Kracht, die dem Betroffenenbeirat der EKD angehörte. Kracht und weitere Betroffene zeigten sich auch nicht überzeugt von der nun eingeleiteten Untersuchung zum Scheitern der Betroffenenbeteiligung. Die damit befasste Expertin könne beispielsweise aus Sicht der Betroffenen keinerlei Fachlichkeit im Bereich sexualisierter Gewalt aufweisen.
In seinem letzten Bericht als Ratsvorsitzender blickte der 61-jährige Bedford-Strohm auch auf andere Themen seiner siebenjährigen Amtszeit zurück, darunter den kirchlichen Reformprozess angesichts des Mitgliederverlusts und das kirchliche Engagement für Flüchtlinge. Angesichts der laufenden Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow sagte Bedford-Strohm: „Wir haben hoffentlich verstanden, dass es um konkrete Menschenleben geht, die wir in der Zukunft opfern, wenn uns die notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels heute zu teuer sind.“
Die Synode berät bis Mittwoch digital, weil ein Teilnehmer einer vorbereitenden Gremiensitzung positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Am Dienstag und Mittwoch werden der Rat der EKD als Leitungsgremium neu gewählt und der Ratsvorsitz neu vergeben. Bedford-Strohm stellt sich nach sieben Jahren an der EKD-Spitze nicht erneut zur Wahl. Am Montagnachmittag sollen die 128 Synodalen über die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt beraten, auch Betroffene sollen zu Wort kommen. Derzeit sind 942 Fälle von sexualisierter Gewalt im Bereich der EKD bekannt.
Im Frühjahr wurde die 25-jährige Anna-Nicole Heinrich zur Präses der Synode gewählt. Sie leitet damit nun erstmals eine reguläre Sitzung des Kirchenparlaments, das unter anderem auch über den Haushalt der EKD entscheidet. In ihrem Bericht vor der Synode rief Heinrich ausgehend von einer Präses-Tour, die sie im Sommer unternahm, zum Mut zu Veränderungen auf. Man müsse auch außerhalb von Kirchenmauern nach Impulsen suchen. „Vertrauen, Offenheit und ein Ortswechsel lohnen sich“, sagte sie.