Die meterhohen Wellen und Tonnen von Schlick und Geröll haben Spuren hinterlassen. In den Orten, im Leben der Menschen, in der Martin-Luther-Kirche von Bad Neuenahr in Rheinland-Pfalz. Das neugotische Gotteshaus aus dem 19. Jahrhundert liegt unmittelbar an der Ahr, an einer Brücke. Diese Brücke gibt es seit Mitte Juli nicht mehr. Auch die Martin-Luther-Kirche ist seither geschlossen.
"Wir ziehen alle am gleichen Strang", schreibt Christian Carstens. Auch er ist Pastor in einer Martin-Luther-Kirche - knapp 500 Kilometer weiter nördlich, in Hamburg-Iserbrook. So wie seine Gemeinde haben unzählige andere Martin-Luther-Kirchen in ganz Deutschland für ihre überflutete Namensvetterin gespendet. Doch die Idee zu dieser Aktion ist weitere 50 Kilometer nördlich zu suchen: im schleswig-holsteinischen Tralau. Auch hier gibt es eine Martin-Luther-Kirche. Sie gehört zur Kirchengemeinde Bad Oldesloe.
"Ich kenne das Gefühl aus der Familie. Meine Schwester lebt an der Mosel und ist schon zwei Mal untergegangen", sagt Bettina Gräfin Kerssenbrock, Tralauerin und Mitglied im Kirchengemeinderat. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal habe sie im Internet nach Möglichkeiten gesucht zu helfen und sei dabei auf die Martin-Luther-Kirche, eine der am schwersten getroffenen Kirchen der Region, gestoßen.
Solidarität im Zeichen des "Apfelbäumchens"
Einen Meter hoch habe das Wasser im Kirchraum gestanden, schreibt der dortige Pastor Friedemann Bach. Altar, Orgel, Klavier, Stühle, Gesangbücher zerstört. Die Technik im Büro verwüstet, das Gemeindearchiv verloren. Das Material für Taufen, Trauungen und Beerdigungen samt Bibeln vernichtet. Erst im vergangenen Jahr sei das Gemeindehaus für mehr als eine Million Euro restauriert worden. Nun sind die Decken eingestürzt, Heizung und Jugendräume unbrauchbar.
"Wenn man in Ahrweiler schon durch die Pandemie dieselben finanziellen Schwierigkeiten hat wie wir, mag ich mir nicht vorstellen, wie lang die tatsächliche Wiederherstellung von allem Zerstörten dauern kann", so Kerssenbrock. Sie begann zu recherchieren: Nach anderen Martin-Luther-Gemeinden, Luthergemeinden und Martin-Luther-Kirchen, deutschlandweit. Nach und nach schrieb sie 100 Gemeinden an. Appellierte an die Solidargemeinschaft und daran, ganz im Sinne ihres Namensgebers ein "Apfelbäumchen" zu senden. So soll Martin Luther einst gesagt haben: "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."
Rund ein Viertel der Gemeinden habe geantwortet. "Ich weiß nicht, wie viel zusammenkommt", sagt Kerssenbrock. Denn die Gemeinden spendeten direkt. So auch die Gemeinde der Lutherkirche in Hamburg-Wellingsbüttel, die bei Taufen und Trauungen sammelte. "Der Anknüpfungspunkt mit dem Namen war, glaube ich, genau richtig." Auch wenn die Spenden der Martin-Luther-Kirchen an der Ahr sicherlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien: "Ich hoffe, dass es der Gemeinde in Bad Neuenahr den Rücken stärkt und ein Zeichen ist, durchzuhalten."