Potsdam (epd). Zum Auftakt des Prozesses wegen der Tötung von vier Schwerstbehinderten im Potsdamer Oberlinhaus hat die angeklagte langjährige Mitarbeiterin über ihre psychischen Beeinträchtigungen und angeblichen Personalmangel in der evangelischen Einrichtung berichtet. Mit häufig zwei statt wie vorgesehen drei Pflegern pro Frühschicht hätten viele Klienten nicht aus den Betten geholt, gewaschen und angezogen werden können, sagte Ines R. am Dienstag vor dem Landgericht Potsdam aus. Die 52-Jährige muss sich dort wegen Mordes und weiterer Straftaten verantworten. Die Staatsanwaltschaft geht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus. (AZ: 21 Ks 6/21)
Ines R. soll Ende April mit einem Messer vier schwerstbehinderte Menschen getötet und eine weitere Frau schwer verletzt haben. Sie war noch in der Tatnacht vom 28. auf den 29. April festgenommen und am Folgetag in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden. Opfer waren zwei 31 und 42 Jahre alte Frauen und zwei 35 und 56 Jahre alte Männer. Die Frau, die schwerverletzt überlebt hatte, war zum Tatzeitpunkt 43 Jahre alt.
Die Tatverdächtige war den Angaben zufolge rund 30 Jahre bei dem Diakonie-Unternehmen beschäftigt. In der Anklageschrift betonte die Staatsanwaltschaft, dass R. ihre Dienste vor der Tat „seit vielen Wochen als enorme psychische Belastung“ empfunden habe. Zum Tatzeitpunkt sei ihr bewusst gewesen, dass es sich bei den Geschädigten um schwerstbehinderte Menschen handelte.
Die Angeklagte selbst beschrieb vor Gericht schwere psychische Beeinträchtigungen, wie Ängste seit ihrer frühesten Kindheit. Sie habe keine Freunde gehabt und sich von der Mutter nicht geliebt gefühlt. Deren Schlägen sei sie nur bei Krankheit entgangen. Sie sei mehrfach stationär psychiatrisch behandelt worden, auch im Zusammenhang mit zwei Selbstmordversuchen. Sie befand sich demnach seit langer Zeit in Psychotherapie und in psychiatrischer Behandlung mit Medikamenten.
Ihre Tätigkeit als Pflegerin beschrieb die Angeklagte als „Berufung“. Als einschneidende Erlebnisse vor der Tat bezeichnete sie Zwangsspritzen, die ihr in der Kindheit in einer psychiatrischen Einrichtung verabreicht worden seien, die Hirnhautentzündung ihres Sohnes, die zu einer schweren Behinderung führte, und den Hirntumor ihres anderen Sohnes.
Die Angeklagte berichtete ferner über eine angeblich unhaltbare Arbeitsbelastung durch Personalmangel. Wer Überlastungsanzeige gestellt habe, sei aufgefordert worden, sich eine andere Arbeit zu suchen. Leasing-Kräfte zur Überbrückung bei Personalmangel seien der Leitung zu teuer gewesen.
Der zuständige Gerichtsmediziner berichtete, bei den Obduktionen sei an den Opfern ein „sehr guter Pflegezustand“ festgestellt worden. Drei von ihnen seien an allen vier Gliedmaßen gelähmt gewesen.
Für die Verhandlung vor der ersten Großen Strafkammer sind bis zum 9. Dezember zehn Verhandlungstage geplant. Bislang sind 41 Zeugen und vier Sachverständige geladen. Bis zum Abschluss des Strafprozesses setzte das Arbeitsgericht die Klage der Pflegerin gegen ihre Kündigung durch das Oberlinhaus aus.