Debatte um Abschwenken vom Inzidenzwert

Debatte um Abschwenken vom Inzidenzwert

Düsseldorf, Essen (epd). Hausärzte betrachten die Einigung des Corona-Kabinetts, Beschränkungen im öffentlichen Leben nicht mehr an die Höhe der Infektionszahlen zu knüpfen, als überfällig. Schon längst müsste bei der Bewertung des Infektionsgeschehens mehr als nur die Inzidenz einbezogen werden, sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Dienstag). „Die geplante Berücksichtigung der Hospitalisierungsrate ist deshalb ein richtiger erster Schritt, und dafür wurde es auch höchste Zeit.“ Letztlich gehe es für den Herbst darum, die Belastung des Gesundheitswesens abzubilden. Diese sei im Moment moderat und werde vor allem durch Nichtgeimpfte verursacht.

Das Corona-Kabinett, das unter der Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Fachminister der Ressorts Finanzen, Inneres, Auswärtiges, Gesundheit und Verteidigung umfasst, hatte sich am Montag darauf geeinigt, Beschränkungen im öffentlichen Leben nicht mehr an die Höhe der Infektionszahlen zu knüpfen. Die Inzidenz verliert wegen der steigenden Impfquote an Aussagekraft. Stattdessen soll nun die Quote der Krankenhausbehandlungen der entscheidende Indikator werden.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hingegen übte Kritik am Beschluss des Corona-Kabinetts. Er halte es für „zynisch“, jetzt den Inzidenzwert in den Hintergrund zu schieben, sagte er der „Rheinischen Post“. Besonders Kinder würden auf diese Weise der Durchseuchung ausgesetzt. Lauterbach warnte vor steigenden Werten: „Meine Prognose ist, dass noch vor der Bundestagswahl die Inzidenzwerte so rasant gestiegen sein werden, dass auch die Krankenhausfälle wieder deutlich steigen und die Verantwortlichen im Bund und in den Ländern sich gegenseitig die Schuld für ein mögliches Versagen geben werden.“

Unterdessen beklagte die Deutsche Stiftung Patientenschutz einen immer noch lückenhaften Impfschutz bei den Beschäftigten in Pflegeheimen und Pflegediensten, warnte aber vor einer Impfpflicht für die betreffenden Berufsgruppen. „Eine solche Pflicht käme in einem Mangelberuf wie der Altenpflege eher einer Verzweiflungstat nahe und wäre kontraproduktiv“, sagte Vorstand Eugen Brysch den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Schon heute leide die Branche unter einer starken Abwanderung. „Die Pflicht zur Impfung würde die Lage der Pflegebedürftigen so eher noch verschärfen.“

Ärztevertreter lehnten eine Impfpflicht ebenfalls ab: „Eine Impfpflicht ist sowohl generell als auch fokussiert auf bestimmte Berufsgruppen nicht der richtige Ansatz“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), den Funke-Zeitungen. Die Menschen müssten davon überzeugt werden, dass eine vollständige Impfung gut für sie, aber auch für die Gesellschaft sei.