Halle, Berlin (epd). Zwölf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leopoldina haben sich mit konkreten Empfehlungen in die Debatte um eine Neuregelung der Suizidbeihilfe eingeschaltet. Sie erklärten, notwendig zu diskutieren sei nicht ob, sondern wie künftig das Recht in Anspruch genommen werden könne, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle veröffentlichte das Diskussionspapier am Donnerstag.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das Verbot der organisierten Sterbehilfe gekippt. Seitdem befassen sich Politik und Ärzteschaft mit der Frage einer Nachfolgeregelung. Suizidassistenz leistet, wer einem Sterbewilligen ein todbringendes Medikament überlässt, es aber nicht verabreicht. Das Verabreichen, also aktive Sterbehilfe, ist in Deutschland verboten.
Die Leopoldina-Mitglieder empfehlen, dass durch Ärzte überprüft werden solle, ob der Entschluss eines Sterbewilligen zur Selbsttötung wirklich selbstständig, frei und ohne Druck zustande gekommen ist. Grundsätzlich sollten bis auf sehr eng gefasste Ausnahmen nur Entscheidungen von Volljährigen anerkannt werden, heißt es in dem Papier. Zu den Kernpunkten einer gesetzlichen Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung gehört nach Ansicht der Autorinnen und Autoren, mindestens zwei unabhängig voneinander agierende Ärzte einzubeziehen und dadurch die Prüfung des Selbsttötungswillens von der Hilfe zum Suizid personell und organisatorisch zu trennen.
Außerdem müssten eine Bedenkzeit und umfassende Beratung sichergestellt werden, fordern die Wissenschaftler und schließen sich den Forderungen nach mehr Suizidprävention und einem Ausbau der Hospiz-Versorgung an. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysc,h kritisierte, bei den Schutzkonzepten blieben die Leopoldina-Mitglieder unkonkret. Ausreichend psychische, pflegerische und medizinische Hilfsangebote seien nicht für jeden Suizidwilligen verfügbar.
Zu den Verfassern des Papiers zählen der Rechtswissenschaftler Andreas Voßkuhle, der im Februar 2020 noch Präsident des Bundesverfassungsgerichts war, und die Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, die knapp zehn Jahre dem Deutschen Ethikrat angehörte. Nach Ansicht von Schöne-Seifert kommt Ärztinnen und Ärzten künftig eine zentrale Rolle zu. Sie sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), sie seien die „maßgeblich richtigen Personen“ bei der Suizidassistenz. Zugleich dürfe kein Arzt zur Suizidbeihilfe genötigt werden, auch nicht indirekt.
Umfragen zufolge seien ein Drittel bis zur Hälfte der Ärztinnen und Ärzte in Einzelfällen zur Hilfe beim Suizid bereit, sagte Schöne-Seifert, etwa weil sie einen Patienten gut kennen und ihm ermöglichen wollten, den Schritt in einem vertrauten Rahmen zu tun. Noch sei es für Patienten aber sehr schwierig, direkt einen Arzt dafür zu finden. Solange halte sie Sterbehilfeorganisationen für „eine wichtige und willkommene Auffangoption“, sagte Schöne-Seifert.
Das Bundesverfassungsgericht hatte vor anderthalb Jahren den 2015 geschaffenen Strafrechtsparagrafen 217, das Verbot der organisierten - sogenannten geschäftsmäßigen - Hilfe bei der Selbsttötung gekippt und geurteilt, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch das Recht umfasst, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Der Bundestag diskutierte im April des laufenden Jahres, inwieweit der Staat diese Form der Sterbehilfe ermöglichen oder verhindern soll. Der Deutsche Ärztetag hatte im Mai auf das Urteil reagiert und das Verbot der Hilfe zur Selbsttötung aus der Berufsordnung gestrichen.