Berlin (epd). Suchtforscher werfen der Bundesregierung Versagen bei der Alkohol- und Tabakprävention vor. Sowohl in Bezug auf die Alkohol- als auch auf die Tabakkontrollpolitik habe Deutschland eine sehr industriefreundliche und wenig gesundheitspolitische Ausrichtung, heißt es in dem am Donnerstag in Berlin vorgestellten 8. Alternativen Drogen- und Suchtbericht. Die gesundheitlichen und sozialen Kosten, die die Gesellschaft dafür zahlen müsse, seien sehr hoch. Herausgeber des Berichts ist der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik akzept e.V.., ein Zusammenschluss von 55 Verbänden und Einrichtungen aus Forschung und Praxis.
Am Beispiel der Alkoholkontrollpolitik würden die Versäumnisse sehr deutlich, sagte der Frankfurter Suchtforscher Heino Stöver. Viele Möglichkeiten wie eine sehr viel höhere Alkoholsteuer blieben ungenutzt, um die gesellschaftlichen und sozialen Schäden auf vielen Ebenen abzuwenden. „Wir leiden unter den gesundheitlichen und sozialen Kosten“, sagte Stöver. So gehörten alkoholbezogene Unfälle, Gewalttaten, sexuelle Übergriffe und ähnliches mit Abstand zu den größten mit psychoaktiven Substanzen assoziierten Risiken im öffentlichen Raum. „Wir können nicht von einer konsistenten Alkoholkontrollpolitik sprechen“, kritisierte Stöver. So würden beispielsweise Werbeeinschränkungen bei Alkohol kaum diskutiert.
40.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen von Alkohol, wie der Psychologe Jakob Manthey vom Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der TU Dresden sagte. Die Steuern auf Alkohol seien nicht nur zu niedrig, wenn aktuell ein Bier mit fünf Cent und eine Flasche Wodka mit 3,50 Euro besteuert werde. Sie seien auch an die Preisentwicklung nicht angepasst worden, kritisierte Manthey. So sei Alkohol anders als in anderen europäischen Ländern in Deutschland im Laufe der Jahre immer erschwinglicher geworden.
Ähnlich verhält es sich laut Suchtforscher Stöver mit dem Tabakkonsum, dessen Folgen die Gesellschaft jährlich 97 Milliarden Euro kosteten. 127.000 Menschen seien 2020 wegen Rauchens gestorben, mehr als 450.000 müssten jährlich wegen tabakbezogener Probleme in Krankenhäusern behandelt werden. 28 Prozent der Erwachsenen in Deutschland rauchten. Diese Zahlen verdeutlichten „die Wucht des Problems“.
Auch die Drogenpolitik kritisieren die Autoren als falsch. Während die Prävention bei den legalen Drogen auf sehr niedrigem Niveau stagniere, drehe sich die Kriminalisierungsspirale bei illegalen Substanzen ungebremst weiter, kritisierte Hubert Wimber, früherer Polizeipräsident von Münster. Mit 365.753 polizeilichen Ermittlungsverfahren seien noch nie so viele sogenannte Rauschgiftdelikte in einem Jahr registriert worden wie 2020. Ganz überwiegend (80 Prozent) sei es dabei lediglich um Eigenbedarf gegangen.
Wimber, der für eine Freigabe von Drogen plädiert, nannte die Strafverfolgung von Drogenkonsum eine „Verschwendung von polizeilichen und justiziellen Ressourcen“, ohne dass das Auswirkungen auf die Nachfrage habe. Die Chance auf eine kontrollierte Abgabe werde so vertan.