Hildesheim (epd). In der Debatte um die sogenannte Cancel Culture - dem Ausschließen bestimmter Positionen aus gesellschaftlichen Debatten - hat sich der Politologe Marc Partetzke dafür ausgesprochen, Minderheiten stärker zu Wort kommen zu lassen. „Es wird leider immer noch zu oft über und nicht mit Minderheiten gesprochen“, sagte der Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung an der Universität Hildesheim im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass sich die Mehrheitsgesellschaft ihrer Privilegien und Dominanz bewusst sein und diese kritisch reflektieren müsse.
Unabhängig davon, welche Meinung jemand vertrete und welcher gesellschaftlichen Gruppe er angehöre, müsse der gesellschaftliche Diskurs jedem Menschen offenstehen: „Multiperspektivität ist wichtig, niemand sollte in einer Demokratie ausgeschlossen werden.“
Partetzke hob die Bedeutung der sozialen Medien für einen offeneren Diskurs hervor: Durch sie kämen immer mehr Gruppen zu Wort, die im gesellschaftlichen Diskurs bislang unterrepräsentiert gewesen seien. Doch nicht nur das Zulassen von Vielstimmigkeit sei für die Debattenkultur entscheidend. Es sei ebenso wichtig, unterschiedliche Positionen anzuhören und anzuerkennen, dass die eigene Sozialisation nur eine von vielen sei.
Klagen von prominenten Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft, sie würden mundtot gemacht, kann Partetzke nicht nachvollziehen. „Wenn zum Beispiel Wolfgang Thierse ausgerechnet im Deutschlandfunk, einem so reichweitenstarken Sender, sagt, er habe den Eindruck, er dürfe nicht mehr alles sagen oder werde nicht gehört, entbehrt das nicht einer gewissen Ironie“, sagte der Politologe.
Der sogenannten Cancel Culture erteilte Partetzke eine Absage. „Menschen von vornherein auszuschließen, sich ihre Positionen gar nicht mehr anzuhören, ist eine bedenkliche Entwicklung“, sagte der Politologe. „Hinterfragen, kritisieren, dekonstruieren - das alles ist wichtig und gehört zum demokratischen Diskurs.“
Darüber hinaus gehe es bei der Cancel Culture oft nicht nur um das bloße Ausladen und Ausschließen von Menschen aus Debatten und von Veranstaltungen. „Sie führt nicht selten auch zu heftiger Anfeindung, Stigmatisierung und dem sozialen Ausschluss der Ausgeladenen“, kritisierte er.