TV-Tipp: "Tatort: Wie alle anderen auch"

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TV-Tipp: "Tatort: Wie alle anderen auch"
21. März, ARD, 20.15 Uhr
Was ist das für ein Land, das zu den reichsten der Welt gehört, aber nichts dagegen unternimmt, dass Menschen auf der Straße verrecken? Die Frage wird zwar nicht in diesem Wortlaut gestellt, schwebt aber unausgesprochen über den Bildern des jüngsten "Tatort" aus Köln.

"Wie alle anderen auch" handelt von einem Kriminalfall aus dem Obdachlosenmilieu. Das klingt nach einem jener Themenfilme, wie sie der WDR rund um sein Ermittlerduo Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) immer wieder gern produzieren lässt, aber der erfahrene Drehbuchautor Jürgen Werner hat es zum Glück vermieden, in diese Falle zu tappen: Niemand hält einen Vortrag darüber, wie leicht man durchs soziale Raster fallen kann; einzig Ballauf fragt sich beim Anblick von Flaschensammlern, wo die eine Billion Euro Sozialausgaben des Staates versickern. Als Krimi ist der 81. "Tatort" allerdings etwas enttäuschend. Der unvermeidliche Mord ist zwar mehr als bloß ein Vorwand, um eine Geschichte von der Straße zu erzählen, aber die vorzüglichen darstellerischen Leistungen können nicht kaschieren, dass es dem Film an innerer Spannung mangelt. Das liegt nicht zuletzt an der Konzentration auf die Hauptfigur, die nur mittelbar mit dem eigentlichen Fall zu tun hat.

Die Handlung beginnt mit stroboskopartigen Bildern von häuslicher Gewalt. Die Schlaglichter genügen, um einen Eindruck von Hass und Brutalität zu vermitteln. Endlich erwacht Ella (Ricarda Seifried) aus ihrer Ohnmacht, buchstäblich wie auch im übertragenen Sinn, und verlässt ihren Mann. Fortan lebt sie auf der Straße, unter die Fittiche genommen von der älteren Moni (Rike Eckermann), mit der sie sich angefreundet hat. Als Monis Nachtlager unter einer Rheinbrücke in Flammen aufgeht, sucht die Polizei Ella als Zeugin. Später stellt sich raus, dass Moni nicht im Feuer, sondern an der Überdosis eines gern als Droge missbrauchten medizinischen Wirkstoffs gestorben ist; aber mit Drogen hatte Moni nichts am Hut, wie die Leiterin (Hildegard Schroedter) der Suppenküche versichert.

Werner, Schöpfer des "Tatort"-Teams aus Dortmund, und Regisseurin Nina Wolfrum haben bereits bei der Kölner "Tatort"-Episode "Niemals ohne mich" (2020) zusammengearbeitet. Auch dieser Krimi war ein bedrückendes Sozialdrama: Es ging um Väter und Mütter, die sich vor Unterhaltszahlungen drücken. Wolfrum hat den Film jedoch vergleichsweise entspannt inszeniert; da waren ihre drei Beiträge zur ARD-Reihe "Nord bei Nordwest" ("Der Anschlag" und "Conny & Maik", beide 2021, sowie "Ein Killer und ein Halber", 2020) von ganz anderem Kaliber. Dass ihr zweiter "Tatort" immerhin als Drama sehenswert ist, hat in erster Linie mit den überwiegend kaum bekannten Schauspielerinnen zu tun. Sie füllen ihre Rollen mit viel Leben, sind jederzeit glaubwürdig und verhindern auf diese Weise, dass ihre Figuren wie Fallbeispiele wirken. Das gilt vor allem für Ricarda Seifried: Ella, die so gern ein Leben führen möchte "wie alle anderen auch", aber vom Regen in die Traufe gerät, vermeidet jeden Kontakt zur Polizei, weil sie glaubt, den Gatten erschlagen zu haben. Ballauf und Schenk kennen jedoch ihre Krankenakte und wissen, dass sie jahrelang von ihrem Mann misshandelt worden ist. Alle drei können nicht ahnen, dass Ella den Schlüssel zur Lösung des Mordes die ganze Zeit bei sich trägt.

Zwar nur mittelbar wichtig für die Geschichte, aber trotzdem eine interessante Figur ist auch Altenpflegerin Katja Fischer (Jana Julia Roth), die sich verschuldet hat und nun in ihrem Auto lebt. Sie steht für ein Zeitphänomen, das es früher in dieser Form nicht gegeben hat: Selbst Menschen aus der vermeintlich gesicherten Mittelschicht können quasi über Nacht in die Obdachlosigkeit abrutschen. Umso mehr ehrt es die Frau, dass sie trotz aller persönlichen Probleme ehrenamtlich in der Suppenküche arbeitet. Diese Einrichtung dient Werner als weiteres empörendes Beispiel dafür, wie gleichgültig dem Staat die Obdachlosen sind. Dass der Film deren Schicksal trotz der freundlichen dokumentarischen Bilder am Schluss fernab von jeglicher Sozialromantik schildert, versteht sich im Grunde von selbst: Am Ende gewinnt immer die Straße.

Vor vielen Jahren haben Ballauf und Schenk schon mal im Obdachlosenmilieu ermittelt ("Platt gemacht", 2009). Anders als damals geht es diesmal fast ausschließlich um Frauen. Auch das hat seinen Grund: Streitereien ums Bettelrevier, Diebstahl und nächtliche Überfälle drohen auch Männern, aber Frauen leben zudem in der ständigen Angst vor einer Vergewaltigung. Dieser Aspekt spielt in Werners Drehbuch ebenfalls eine maßgebliche Rolle: Zur großen Empörung Jüttes zählt plötzlich auch die unbescholtene Altenpflegerin zum Kreis der Verdächtigen. Dass Roland Riebeling den Mitarbeiter der Kommissare endlich mal nicht als Trottel vom Dienst verkörpern muss, ist eine wahre Wohltat; und die Ergänzung des Teams um die freche Kriminaltechnikerin Natalie (Tinka Fürst) hat sich schon im letzten Film ("Der Tod der anderen", 2021) als kluge Entscheidung erwiesen.