In der Corona-Pandemie wurden viele kirchliche Aktivitäten wie beispielsweise Gottesdienste in die digitale Welt verlagert. In der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ist nun eine Auseinandersetzung darüber entbrannt, ob man auch das Abendmahl vor einem Bildschirm feiern kann. Die Landessynode wird sich bei ihrer Frühjahrssynode am 20. März mit dem Thema befassen - das "Kirchenparlament" tagt aufgrund der Pandemie erneut digital.
Oberkirchenrat Ulrich Heckel ist überzeugt, dass sich das Abendmahl grundsätzlich nur in persönlicher Anwesenheit feiern lässt. "Die leibliche Begegnung gehört wesentlich dazu - das ist das Grundmotiv im Neuen Testament", sagt er. Ausnahmen habe man in der Extremsituation des ersten Lockdowns 2020 zugelassen, weil damals Präsenzgottesdienste verboten waren. Inzwischen seien Abendmahlsfeiern unter Beachtung strenger Hygieneregeln aber wieder möglich - und damit gebe es auch keine Notsituation mehr wie vor einem Jahr. Sollten die Inzidenzzahlen wieder nach oben schnellen, müsse die Situation neu bewertet werden.
Grundsätzliche Klärung notwendig
Heckel verweist zudem darauf, dass man nach evangelischem Verständnis beim Abendmahl die Gaben von einem anderen Christen gereicht bekomme. "Vor dem Bildschirm wird es dann zur Selbstbedienung - zumindest, wenn man dort alleine sitzt", gibt der Theologe zu bedenken. Das digitale Abendmahl sollte deshalb nur in Ausnahmesituationen zugelassen werden. Diese Fragen seien aufgrund der Corona-Pandemie akut aufgebrochen, bedürften angesichts der Digitalisierung aber einer grundsätzlichen Klärung auch im ökumenischen Kontext, so Heckel.
Johannes Eißler ist Pfarrer in Eningen bei Reutlingen und Vizepräsident der Synode. Er hat in den vergangenen Wochen in den Sozialen Medien mehrfach geäußert, wie sehr er sich eine Öffnung der Kirchenleitung für Erfahrungen mit dem digitalen Abendmahl wünscht. "Die Vorbehalte gegenüber der Wirksamkeit des Sakraments, vermittelt über den Bildschirm, verstehe ich überhaupt nicht", sagt Eißler. Eine große Mehrheit in der Synode habe sich intern zumindest für eine Erprobung des digitalen Abendmahls ausgesprochen.
Präzedenzfall vor fünf Jahren
Eißler hält die Unterscheidung zwischen "virtuell" und "real" für nicht mehr zeitgemäß. In der Corona-Pandemie hätten die Menschen sehr viele neue Erfahrungen mit digitalen Angeboten gemacht. Der Gemeindepfarrer berichtet von einem alten Mann, der nicht mehr zur Kirche gehen kann und mit seiner Tochter vor einem Bildschirm Abendmahl gefeiert habe. Das habe diesen Mann glücklich gemacht.
Positive Berichte dieser Art gebe es etliche, sagt Eißler. Deshalb sei das nicht nur ein Thema in der Pandemie, sondern letztlich eine Frage der Inklusion. Dem hält Oberkirchenrat Heckel entgegen, dass es die "gute Sitte" des Hausabendmahls gebe, bei der Pfarrerinnen und Pfarrer mit Menschen in deren eigenen vier Wänden Brot und Wein teilten. Aus seiner Sicht ist das Hausabendmahl die bessere Alternative als das digitale Abendmahl.
In der württembergischen Landeskirche hat das virtuelle Abendmahl bereits eine Geschichte. Vor fünf Jahren bot der Pfarrer und damalige Landessynodale Heiko Bräuning innerhalb seines TV-Gottesdienstes "Stunde des Höchsten" eine solche Feier an. Der Oberkirchenrat verzichtete in der damaligen Situation auf eine Intervention. Aus reformatorischer Sicht sei es zwar eine "Unmöglichkeit", Sakramente zu feiern, ohne persönlich anwesend zu sein, sagte Heckel damals. Doch habe man in früheren Jahrhunderten mediale Gottesdienste noch nicht im Blick haben können. "Wir wollen Gott zutrauen, dass er auch auf diesen Wegen wirken kann, wann und wo es ihm gefällt", unterstrich der Oberkirchenrat.
Vor einem Monat haben sich die Synodalen nun bei einem nichtöffentlichen Studientag tiefgründiger mit dem Thema befasst. Die schwer überbrückbaren Differenzen zwischen "Kirchenparlament" und Oberkirchenrat traten dabei offen zutage. Allerdings will keine Seite ihre Position mit Macht gegen die andere durchsetzen. Deshalb lassen sich die Württemberger nun voraussichtlich einige Monate Zeit, um sich auf eine künftige Lösung zu verständigen.
Dazu gehört nach Überzeugung von Oberkirchenrat Heckel das Gespräch mit anderen - vor allem protestantischen Kirchen in Deutschland, aber auch weltweit. Eine Änderung der geltenden Regeln komme nur infrage, wenn es einen "magnus consensus" gebe - wenn sich also die überwiegende Mehrheit in der Kirche für die Anerkennung des digitalen Abendmahls ausspreche. Sollten indessen heute schon einzelne Pfarrerinnen oder Pfarrer dieses Angebot machen, wolle die Kirchenleitung das nicht disziplinarisch verfolgen. Man gehe davon aus, dass sich die Theologen in den Gemeinden ihrer verantwortlichen Aufgabe bewusst seien, so Heckel.