"Für mich gilt im Hinblick auf das Handeln kirchlicher Einrichtungen, dass sie das Ja zum Leben in den Vordergrund rücken und die Suizidprävention als wichtigste Aufgabe erkennen", sagte Wolfgang Huber bei einer gemeinsamen Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie im Rheinland, der Melanchthon-Akademie Köln und des Evangelischen Forums Bonn.
"Ich akzeptiere die Idee von Kollegen im Grundsatz nicht, den assistierten professionellen Suizid zu ermöglichen, zu einer fest etablierten Handlungsform in kirchlichen Häusern zu machen oder gar als eine besondere Aufgabe der kirchlichen Kasualpraxis anzusehen", betonte Huber. Aufgabe kirchlicher Einrichtungen sei es vielmehr, ein Beispiel dafür abzugeben, wie schwierige Situationen bei tödlicher Krankheit lebensbejahend bewältigt werden könnten.
Aktives palliatives Handeln
Betroffene Einrichtungen müssten für den rechtzeitigen Übergang von kurativem zu palliativem Handeln sorgen, forderte Huber. Denkbar seien Maßnahmen bis hin zu palliativer Sedierung und auch dem begleiteten Verzicht auf Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, wenn der Patient dies wolle. "Mit solchen Arten von aktiver, palliativer Tätigkeit lässt sich verhindern, dass Menschen sich so sehr in der Ausweglosigkeit sehen, dass sie den assistierten Suizid verlangen."
Hintergrund der gegenwärtigen Debatte um assistierten Suizid ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar vergangenen Jahres. Die Richter hatten das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot geschäftsmäßiger Hilfe bei der Selbsttötung gekippt. In den vergangenen Wochen hatten sich unter anderem Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und der hannoversche Landesbischof Ralf Meister für die Möglichkeit der Suizid-Assistenz in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen ausgesprochen. Huber hatte gemeinsam mit dem Theologen Peter Dabrock die Gegenposition formuliert, und auch leitende Geistliche, unter anderem der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, sind gegen die Suizid-Assistenz unter dem Dach der Kirche.
Angst vor gesellschaftlichem Druck
Er halte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für sehr bedauerlich, sagte Huber. Es bestehe die Gefahr, dass sich eine Denkweise durchsetze, die Leben und Nicht-Leben als gleichwertig betrachte und die Suizid-Assistenz zu einer Regelaufgabe von Ärzten mache. "Meine größte Sorge ist, dass dies die Tür dafür öffnet, dass als nächstes das Töten auf Verlangen gefordert wird." Die Entwicklung in den Benelux-Ländern unterstreiche, dass dies die wahrscheinliche Folge sein werde. "Der gesellschaftliche Druck darauf wird entsprechend groß sein, und die juristische Bereitschaft, dafür Formen zu finden, ist schon vorhanden."
Zwar könne es Situationen geben, in denen Menschen mit ihrem Leben so abgeschlossen hätten, dass sie es beenden wollten, räumte der evangelische Theologe ein, der bis 2009 das Amt des Bischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bekleidete. Aber die Entscheidung für die Selbsttötung dürfe nur das allerletzte Mittel sein, sagte er. Es müssten Lösungswege diesseits des Suizids gesucht werden. "Und der Nachdruck, mit dem solche Wege gesucht werden, darf nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass die Suizidassistenz als Regelangebot im Hintergrund steht. Sie muss eine Ausnahme bleiben."