Bremen (epd). Die Bremer Pflegeforscherin Henrikje Stanze wirbt dafür, mehr Pflegefachkräfte an die Hochschulen zu holen. "Wir brauchen einen wissenschaftlichen Blick am Bett der Patientinnen und Patienten", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das werde die Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe in den Krankenhäusern verändern, betonte die Professorin. Nur so lasse sich zur Weiterentwicklung der Pflege der wichtige Praxis-Theorietransfer erreichen.
Im internationalen Vergleich hinke Deutschland bei der universitären Ausbildung deutlich hinterher. "Eine wirklich logische Erklärung gibt es dafür nicht", sagte Stanze. Sicher fehle die Emanzipation der Pflege, wie es sie in den USA gegeben habe. "Dort wehrten sich Pflegekräfte dagegen, als bloße Assistenzkräfte der Ärzte behandelt zu werden, und setzten durch, als eigenständige Berufsgruppe mit eigenen Verantwortungsbereichen angesehen zu werden." In Deutschland hätten dagegen Berufsverbände der Ärzte lange dafür plädiert, Pflegekräften nicht zu viel Verantwortung zu übertragen: "Das hat in der Akademisierung häufig zum Ausbremsen weiterer Entwicklungen geführt."
Es sei wichtig, auch unabhängig von der Alterung der Gesellschaft, mehr Akademikerinnen in der Pflege zu haben. "Pflegekräfte müssen beginnen, alltägliche Routinen kritisch zu hinterfragen, pflegerische Maßnahmen zu optimieren oder neue Wege daraus zu entwickeln", so Stanze. Das gelinge nur in enger Kooperation von nichtakademisch ausgebildeten Pflegekräften und Akademikern.
Eine mögliche Überqualifizierung der Uniabsolventen sieht Stanze nicht. Es gehe um Solidarisierung im Arbeitsalltag. "Niemand darf sich zu schade sein, ein Essenstablett wegzuräumen oder den Müll zu entsorgen. Innerhalb der Teamarbeit sei zu klären, welche Arbeitsaufgaben die jeweilige Berufsgruppe hat und wer welche Verantwortungsbereiche übernimmt: "Dabei ist Kommunikation, Respekt und Anerkennung wichtig."
Dass sich dann auch die Aufgabenverteilung zwischen Ärzten und Pflege-Akademikern ändern müsse, sieht die Professorin nicht. Aber: "Entweder die Pflegekraft kann die Verantwortung übernehmen und dafür dann auch geradestehen oder eben nicht. Wieso darf eine Pflegekraft selbstständig keine Paracetamol oder Ibuprofen ausgeben, wenn sie akademisch dafür ausgebildet wurde?" Akademisch ausgebildete Pflegekräfte könnten eigene Pflegediagnosen erstellen und so die Behandlung mitgestalten. "Das führt zu schnelleren Heilungsprozessen, wie es in skandinavischen Ländern gezeigt wird."
Der Deutsche Wissenschaftsrat habe bereits 2012 empfohlen, dass mindestens zehn Prozent aller Pflegenden an deutschen Kliniken studiert haben sollten. Stanze: "Wir sind noch nicht einmal bei fünf Prozent."