Frankfurt a.M. (epd). Deutsche Gerichte prüfen die Eröffnung von zwei weiteren Hauptverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter. Beim Landgericht Itzehoe wird derzeit eine Anklage gegen eine 95-Jährige ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig geprüft, dem Landgericht Neuruppin liegt eine Anklage gegen einen 100-jährigen ehemaligen SS-Wachmann des Lagers Sachsenhausen vor, wie die Gerichte dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Dienstag bestätigten. Das Internationale Auschwitz Komitee wirft der deutschen Justiz Versäumnisse bei der Aufklärung der Fälle vor.
Zu dem Fall des Ex-Wachmanns sagte der Präsident des Landgerichts Neuruppin, Frank Stark, derzeit werde unter anderem beraten, ob ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit eingeholt werden soll. Die Prüfung, ob ein Hauptverfahren eröffnet werde, sei noch nicht abgeschlossen, sagte eine Gerichtssprecherin.
Vor einigen Tagen war bekanntgeworden, dass die Staatsanwaltschaft Neuruppin bereits seit einiger Zeit gegen den früheren KZ-Wachmann ermittelt und nun Anklage erhoben hat. Dem Mann wird nach Angaben des Landgerichts Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen vorgeworfen.
Er soll in den Jahren 1942 bis 1945 durch seine Tätigkeit als Wachmann im Hauptlager des KZ Sachsenhausen unter anderem zur Erschießung von sowjetischen Kriegsgefangenen beigetragen haben. Gegenstand der Anklage ist laut Gericht auch die Beihilfe zur Ermordung von Häftlingen durch den Einsatz des Giftgases Zyklon B sowie zur Tötung der Häftlinge durch die Schaffung und Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen im KZ Sachsenhausen.
Zum Fall der ehemaligen Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof erklärte das Landgericht Itzehoe, dass die Staatsanwaltschaft Ende Januar Anklage erhoben habe. Das Gericht prüfe nun, ob es eine Hauptverhandlung geben wird. Der Fall würde vor der Jugendkammer verhandelt, da die Sekretärin damals noch nicht 21 Jahre alt war. Der heute 95-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen vorgeworfen.
Der Geschäftsführende Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag), dass die Anklageerhebung erst jetzt geschehe, "ist ein Versagen und ein Versäumnis der deutschen Justiz, das sich über Jahrzehnte erstreckt hat." Mittlerweile habe sich in der deutschen Rechtsprechung die Auffassung durchgesetzt, dass jeder Mensch, der in "dem Mordsystem und Räderwerk" eines deutschen Vernichtungslagers Dienst getan hat, auch mitverantwortlich sei für die "Demütigung, die Qual und die Ermordung der Häftlinge". Zu diesem Räderwerk hätten auch die angeklagte ehemalige Sekretärin und der angeklagte frühere Wachmann gehört.
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