TV-Tipp: "Meeresleuchten"

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TV-Tipp: "Meeresleuchten"
17. Februar, ARD, 20.15 Uhr
Ein Mann erlebt in dem ARD-Film "Meeresleuchten" einen Schicksalsschlag, lässt sein altes Leben hinter sich und beginnt völlig neu: Das klingt nach großem Drama. Wolfgang Panzer (Buch und Regie) hat aus diesem Handlungsgerüst jedoch einen ganz anderen Film gemacht, als der erzählerische Kern erwarten lässt.

Gäbe es nicht den erschütternden Prolog, wäre "Meeresleuchten" eine Aussteigergeschichte mit interessanten Nebenfiguren: Ein sehr erfolgreicher Unternehmer entdeckt in einem verschlafenen Ostseedorf ein Ladenlokal, kauft der Besitzerin kurzerhand das ganze Haus ab und wird Wirt. Seine Begegnungen mit den zum Teil recht skurrilen Einheimischen stehen jedoch unter einem speziellen Vorzeichen.

Thomas Wintersperger (Ulrich Tukur) ist nicht zufällig nach Maalsund gekommen, denn ihm ist das Schlimmste widerfahren, was Eltern passieren kann: Wenige Kilometer vor der Küste ist ein aus Japan kommendes Passagierflugzeug abgestürzt; unter den Insassen war seine Tochter. Nun plagen den Vater neben seiner Trauer auch noch die Schuldgefühle des Überlebenden: Wäre ihm nicht ein geschäftlicher Termin dazwischen gekommen, hätte er sie auf ihrer Reise nach Japan begleitet. Eigentlich will Wintersperger nur in ihrer Nähe bleiben, aber dann begreift er den Schicksalsschlag als Chance für einen Neuanfang.

Wenn eine Hauptfigur mit einer derartigen Vorgeschichte eingeführt wird, genießt sie gewissermaßen Narrenfreiheit. Da es keine Parameter für Trauer gibt, darf Wintersperger völlig plausibel scheinbar irrational reagieren: Er lässt nicht nur seinen überforderten Bruder (Bernd Michael Lade) mit der gemeinsamen Firma und ihren 800 Angestellten hinter sich, sondern auch seine Frau (Ursina Lardi), die kein Verständnis für den Rückzug in die Provinz hat. Dank seines Vermögens ist das Hafenlokal im Grunde nur ein Vorwand, denn Touristen verirren sich kaum mal her.

Einziger Stammgast ist die verwitwete alte Rena (Carmen-Maja Antoni), die sich regelmäßig mit den Worten verabschiedet, sie müsse ihrem Mann das Essen zu bereiten. Aber Wintersperger ist ein umgänglicher Typ, deshalb gewinnt er nach und nach das Vertrauen der Einheimischen. Mit einigen schließt er sogar Freundschaft, weil sie in ihm einen Leidensgefährten sehen; Rena zum Beispiel ist erst wunderlich geworden, seit auch sie ihre Tochter verloren hat.

Wolfgang Panzer hat in den 90er Jahren regelmäßig fürs Fernsehen gearbeitet und unter anderem diverse "Tatort"-Krimis gedreht. Dann wurde es zumindest filmisch stiller um ihn; sein letztes wichtiges Werk war eine allerdings wenig überzeugende Neuverfilmung des Bernhard-Wicki-Klassikers "Die Brücke" für ProSieben (2008). Anschließend hat er noch das satirische Schweizer Politdrama "Der große Kater" gedreht (2010, ebenfalls mit Tukur); das war’s.

Trotzdem hängt es wohl eher nicht mit dieser langen Schaffenspause zusammen, dass "Meeresleuchten" auf gewisse Weise unfertig wirkt, weil Panzer mit bewussten Auslassungen arbeitet, aber auch darin liegt eine Stärke des ruhig und mit Bedacht inszenierten Films. Die personellen Verflechtungen der Dorfbewohner zum Beispiel bleiben lange undurchschaubar.

Schon das erste Aufeinandertreffen mit einem Einheimischen ist ein wenig seltsam: Der von Hans-Peter Korff sehr berührend verkörperte alte Max ist ein komischer Kauz, der Wintersperger aber immerhin den rechten Weg weist, als der trauernde Vater, von einer allzu redseligen Mutter genervt, die Gemeinschaft der Hinterbliebenen verlässt. Fortan ist die Hauptfigur fast nur noch Mittel zum Zweck, um die Geschichten der Menschen aus Maalsund zu erzählen.

Diese Nebenrollen sind zum Teil verblüffend prominent besetzt. Zu Winterspergers neuem Freundeskreis zählt neben Max und der resoluten, aber herzensguten Kellnerin Wiebke (Marie Schöneburg) auch der wie er in Maalsund gestrandete Lebenskünstler Matti (Kostja Ullmann). Der Maler lamentiert zwar ständig über seine weit entfernte Frau, ist aber längst in Renas Enkelin Nina (Sibel Kekilli) verliebt, eine Balletttänzerin, die eines Tages wie aus dem Nichts auftaucht, weil es sie zwischen ihren Engagements in aller Welt regelmäßig zu ihren Wurzeln zieht.

All’ diese Begegnungen verknüpft Panzer zu einem filmischen Reigen, der nicht nur kurzweilig, sondern zwischendurch auch überraschend heiter und von großer Warmherzigkeit geprägt ist. Deshalb ist "Meeresleuchten" neben allen anderen Qualitäten auch ein Hoffnungsfilm, selbst wenn viel Melancholie über den Bildern liegt; zu den gleichermaßen traurigen wie tröstlichen Momenten zählt unter anderem der endgültige Abschied von der Tochter, deren sterbliche Überreste nach der Einäscherung in eine Urne von der Größe eines Daumens passen. Dass der Film zwischendurch synchronisiert klingt, liegt am Drehort: Die Dreharbeiten fanden aus finanziellen Gründen auf dem litauischen Teil der Halbinsel Kurische Nehrung statt.