Wien/Berlin (epd). Der Wiener Theologe Ulrich Körtner warnt vor einer professionalisierten Suizidbeihilfe in kirchlich-diakonischen Einrichtungen. "Das Argument, wenn schon Sterbehilfe, dann lieber in eigener Verantwortung und mit besserer Qualität, wirkt nicht nur befremdlich", heißt es im abschließenden Beitrag einer Artikelserie des Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien für das Magazin "zeitzeichen" (Online, Mittwoch): "Es droht auch das Ansehen der Diakonie in der Öffentlichkeit als dem Leben und dem Schutz jeglichen Menschenlebens aus christlichem Geist und aus dem Evangelium verpflichteter Organisation zu beschädigen."
Mit einem im Januar erschienenen Gastbeitrag prominenter Vertreter der evangelischen Kirche in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wurde eine neue Debatte über das Thema entfacht. Darin wurde gefordert, Suizidassistenz für evangelische Einrichtungen nicht komplett auszuschließen. Die Autoren des Beitrags sind Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, der Theologe Reiner Anselm, die Theologin Isolde Karle, der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, der Palliativmediziner Friedemann Nauck und der Jurist Jacob Joussen, der dem Rat der EKD angehört.
Das Motto der Diakonie könne nicht lauten: "Sterbewünsche erfüllen", sondern nur: "Dem Leben dienen - bis zuletzt", unterstreicht Körtner. Freilich werde dem Leben nicht durch die Tabuisierung von Sterbewünschen oder dem Ausweichen vor der Tatsache gedient, dass es auch in kirchlich-diakonischen Einrichtungen zu Suiziden kommt. Die primäre Aufgabe der Diakonie liege zweifellos in der Suizidprävention.
Es gehöre auch zu den Aufgaben von Diakonie und Seelsorge, Medizin und Pflege, Sterbewünsche von Patienten und Bewohnern "wahrzunehmen und darüber mit den Betroffenen in ein vertrauensvolles Gespräch zu kommen, statt sie mit ihren Wünschen und Gedanken alleinzulassen oder diese unterschiedslos zu pathologisieren", fügte Körtner hinzu. Dazu brauche es in den Einrichtungen "Instrumente der strukturierten, prozessorientierten Ethikberatung".
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das 2015 verabschiedete Verbot der organisierten - sogenannten geschäftsmäßigen - Suizidassistenz gekippt. Nach Ansicht der Richter umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, und erlaubt dabei auch die Hilfe Dritter.
Laut Körtner sollte sich die Diakonie im Verbund mit der Caritas und den Kirchen dafür einsetzen, dass in der künftigen Gesetzgebung zur Suizidbeihilfe, die durch das Karlsruher Urteil nötig geworden ist, Schutzklauseln gegen eine Pflicht freier Träger zur regelmäßigen Gewährleistung von Suizidassistenz vorgesehen werden: "Wird eine regelmäßige Suizidassistenz in kirchlich-diakonischen Einrichtungen ausgeschlossen, ist das auch in Bewohnerverträgen festzuhalten."