Frankfurt a.M., Addis Abeba (epd). In der äthiopischen Krisenregion Tigray sind Oppositionellen zufolge möglicherweise mehr als 52.000 Menschen getötet worden. Seit Beginn der Kämpfe der Zentralregierung gegen lokale Gruppierungen im November seien zahlreiche Dörfer und Städte durch Beschießungen zerstört worden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung dreier Oppositionsparteien von Dienstag. Eine unabhängige Bestätigung der Zahl gibt es nicht, weil die Region in Nordäthiopien für unabhängige Beobachter und Journalisten weiter unzugänglich ist.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte bei einem Telefonat mit dem äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed Ali eine friedliche Lösung des Konfliktes in der Tigray-Region an. Wie ein Sprecher in Berlin erklärte, forderte Merkel dabei auch den freien Zugang von humanitären Hilfsorganisationen sowie von Medien in das Krisengebiet.
Die Unabhängigkeitspartei von Tigray (TIP), der Nationalkongress Groß-Tigray (Baytona) und Salsa Weyand Tigray (Sawet) machten in der Erklärung das äthiopische Militär, die eritreische Armee, Spezialkräfte und Milizen für schwere Verbrechen verantwortlich. Morde und Gruppenvergewaltigungen seien an der Tagesordnung und die Regierung nutze Hunger als Kriegswaffe, um die Menschen der Region zu unterdrücken. Schätzungen der Oppositionsparteien zufolge sind rund 150.000 Menschen in andere Gebiete Äthiopiens geflüchtet. Laut UN-Angaben hat die sexuelle Gewalt seit Beginn des Konflikts dramatisch zugenommen und die Zahl der Hilfsbedürftigen ist von 950.000 auf geschätzt 2,25 Millionen Menschen gestiegen.
Die Zentralregierung von Ministerpräsident Abi Ahmed und die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die bisher in der Region im Norden des Landes an der Macht war, liefern sich seit rund drei Monaten einen Kampf um die Macht. Hintergrund des Konflikts waren Wahlen für das Regionalparlament, die die Tigray-Regierung entgegen der Anordnung der Zentralregierung organisiert hatte. Die TPLF war daraus als Sieger hervorgegangen, TIP, Baytona und Sawet bildeten die Opposition. Zwischen Tigray und der Zentralregierung herrschen seit längerem Spannungen um Entscheidungsbefugnisse der Region.
Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Krise. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, teilte nach einem Besuch in der Region am Dienstag mit, die Lage in Tigray sei ernst und dringende Hilfe notwendig, um Schlimmeres zu verhindern. Zuvor hatten Hilfsorganisationen wiederholt beklagt, dass sie keinen Zugang zu der Region bekommen hätten. Grandi erklärte, ein Teil der Hilfsgüter werde inzwischen zugelassen. In Tigray leben rund fünf Millionen Menschen, von denen Schätzungen zufolge fast die Hälfte auf humanitäre Hilfe angewiesen ist.
Die Welthungerhilfe sprach zuletzt von einer "katastrophalen" Versorgungslage der Menschen in Tigray. Bauern könnten wegen der Kämpfe ihre Ernte nicht einfahren. "Ärzte ohne Grenzen" erklärte, in den Krankenhäusern in Tigray gebe es kaum Medikamente und kein Personal, Wasser oder Lebensmittel mehr.
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