Berlin (epd). Asylverfahren in sogenannten Ankerzentren dauern entgegen den politischen Absichten derzeit länger als im Durchschnitt. Zwischen Antragstellung und Entscheidung der Behörde in einem Ankerzentrum lagen demnach zwischen Januar und November 2020 durchschnittlich 8,5 Monate, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Die durchschnittliche Dauer aller Asylverfahren in diesem Zeitraum lag bei 8,3 Monaten.
Insgesamt ist die durchschnittliche Dauer von Asylverfahren in diesem Jahr gestiegen. 2019 lag sie den Angaben nach noch bei 6,1 Monaten. Das Innenministerium begründete diese Entwicklung in erster Linie mit der Corona-Pandemie. So sei zwischenzeitlich die Zustellung von ablehnenden Bescheiden fast gänzlich eingestellt worden, weil während der Pandemie die Möglichkeiten der Antragstellenden begrenzt gewesen seien, gegen die Entscheidung vorzugehen. Zum anderen seien 2020 viele Altfälle abgeschlossen worden, die den Schnitt der Verfahrensdauer nach oben getrieben hätten. Zuerst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag) darüber berichtet.
"Anker" steht für Ankunft, kommunale Verteilung, Entscheidung und Rückführung. Die im Jahr 2018 eingerichteten Zentren sind ein wichtiger Bestandteil der Flüchtlingspolitik von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Seiner Idee nach sollen Asylsuchende dort bleiben, bis sie einen Aufenthaltsstatus haben oder nach Ablehnung des Asylantrags das Land verlassen. Neben dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Ausländerbehörden sind auch die Bundesagentur für Arbeit und andere für die Integration relevante Behörden in den Zentren vertreten. Flüchtlingsorganisationen kritisieren die Einrichtungen, in denen auch Kinder mit ihren Eltern untergebracht werden.
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Jelpke, bezeichnete die überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer in den Ankerzentren als eine "desaströse Bilanz" für Innenminister Seehofer. "Angeblich sollten Asylverfahren in sogenannten Ankerzentren erheblich schneller sein. Doch das Gegenteil ist richtig, wie sich jetzt zeigt", sagte sie den Funke-Zeitungen. Die wahre Funktion der Lager sei Abschreckung, kritisierte sie: "Asylsuchende werden auf engstem Raum zusammengepfercht, sie sollen von unabhängigen Beratungsstrukturen und der unterstützenden Zivilgesellschaft abgeschnitten werden."